Kurz, Griss und Strolz – und die verpasste Gelegenheit

Wenn die Neos nicht erkennen, dass unter Sebastian Kurz die Chance bestünde, mit der ÖVP gemeinsame politische Ziele durchzusetzen, ist ihnen nicht zu helfen.

Keine Gelegenheit auslassen, eine Gelegenheit auszulassen: Kein Ausspruch passt besser zu den gescheiterten Verhandlungen zwischen Sebastian Kurz, Irmgard Griss und Matthias Strolz zur Bildung einer gemeinsamen Plattform. Scheiterten sie an politischer Dummheit, persönlichen Eitelkeiten, strategischer Blindheit – oder an allem zusammen? Aber der Reihe nach.

Man muss kein großer Prophet sein, um das politische Geschehen in Österreich 2017 vorauszusehen: Für den Rest dieses Jahres blockieren SPÖ und ÖVP einander weiter bei allen größeren Reformvorhaben und führen bereits einen Dauerwahlkampf. Die SPÖ muss befürchten, dass sich die Marke Christian Kern rasch abnützt, während sich die Umfragewerte der ÖVP von schlecht zu katastrophal entwickeln. Es wäre für beide Parteien also politischer Suizid, bis zum regulären Wahltermin 2018 zu warten.

Auch würden dann die Wahlen mit Österreichs EU-Vorsitz im zweiten Halbjahr 2018 kollidieren. Es muss also keinen Schuldigen für vorgezogene Wahlen geben, den die Wähler angeblich immer abstrafen. Allein die Vernunft gebietet die Vorverlegung. Man kann also davon ausgehen, dass 2017 der Nationalrat neu gewählt wird. Schierer Wahnsinn für SPÖ und ÖVP, wird mancher denken, denn es wäre der direkte Weg zu einem Wahlsieg der FPÖ, die dann in jedem Fall die Regierung bilden würde. Mitnichten. In einem Wahlkampf, geführt von Christian Kern als Spitzenkandidat der SPÖ und Sebastian Kurz als jener der ÖVP, könnten H.-C. Strache und die FPÖ ziemlich unter die Räder kommen.

Christian Kern verfolgt die Strategie, pointiert linke Positionen zu vertreten und so Modernisierungsverlierer und Suderer wieder von der FPÖ zur SPÖ zurückzuholen. Dabei muss er es schaffen, die SPÖ in der Flüchtlingsfrage oder beim Thema Freihandelsabkommen mit den USA und Kanada unter einem Hut zu halten. Möge Kern die Übung gelingen und ihm die Parteilinke nicht in den Rücken fallen.

Dies scheint jedoch im Vergleich zur Aufgabe des Sebastian Kurz ein Klacks zu sein: Er muss zuerst eine elegante und gut getimte Übernahme der ÖVP orchestrieren und dann auch noch das bürgerliche Lager einen. Nur so kann es ihm gelingen, die in den vergangenen Jahren arg gebeutelte und schwer enttäuschte Mittelschicht wieder zur ÖVP zu lotsen.

Doch scheint es, als würden ihm Irmgard Griss und Matthias Strolz bereits jetzt einen Strich durch die Rechnung machen. Abba Eban, ein früherer israelischer Außenminister, sagte 1973 einmal frustriert über die Palästinenser: „They never miss an opportunity to miss an opportunity“ – für einen Friedensschluss. (Übrigens war das eine wahrhaft prophetische Aussage.)

Aber mit Griss und Strolz haben wir auch in Österreich würdige Vertreter dieser Spezies. Die eigentlich recht erfolgreiche Präsidentschaftskandidatin Griss hat sich ja bereits als Weltmeisterin des falschen Timings entpuppt. Sie lehnte bisher immer alle politischen Angebote ab, um danach – wenn es schon zu spät war – doch zu wollen und sich damit lächerlich zu machen.

Matthias Strolz wieder scheint seinen persönlichen Befindlichkeiten und dem „Narzissmus der kleinen Differenzen“ zu frönen. Mit diesem Begriff bezeichnete Sigmund Freud vortrefflich die Tatsache, dass in allen menschlichen Gemeinschaften die feindliche Missgunst unter sonst gleichgestellten Menschen nicht aufzuheben sei. So müssen Österreicher und Deutsche, Vorarlberger und Tiroler zwanghaft Unterschiede postulieren, um narzisstische Aggressionsneigungen abzubauen.

Wenn Strolz und die Neos jetzt nicht erkennen, dass unter Sebastian Kurz zumindest eine realistische Chance besteht, mit der ÖVP gemeinsame politische Ziele durchzusetzen, ist ihnen wirklich nicht zu helfen. Dann geschieht Griss und Strolz recht, wenn sie aus der politischen Landschaft Österreichs wieder verschwinden und in der Geschichte bestenfalls eine kleine Fußnote von ihnen übrig bleibt.

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Zum Autor:

Mag. Martin Engelberg ist Psychoanalytiker, geschäftsführender Gesellschafter der Vienna Consulting Group, Lehrbeauftragter an der Wirtschaftsuniversität Wien und Herausgeber des jüdischen Magazins „NU“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.10.2016)

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