Der erhobene Zeigefinger gegen die FPÖ wird nicht mehr reichen

Nur eine totale Rundumerneuerung von SPÖ und ÖVP kann diesen beiden Traditionspartien noch helfen, den Siegeszug der Freiheitlichen aufzuhalten.

So nah liegen Himmel und Hölle manchmal nebeneinander: Es sind gerade einmal drei Prozentpunkte, die Österreich davon trennten, in den Augen eines Teils der Weltöffentlichkeit erneut zu einem Hort unverbesserlicher Alt- und Neonazis zu werden. Für dieses Mal aber hat es das Land geschafft, dieser Brandmarkung zu entkommen: Mit der Drei-Prozent-Differenz wurde Österreich jetzt zum wichtigsten Bollwerk gegen das weitere Erstarken von Rechtspopulismus, Nationalismus und Rückwärtsgewandtheit. Glück gehabt? Ja und nein.

Erstens wird einem warm ums Herz, wie sehr sich Österreich in den vergangenen 30 Jahren gewandelt hat. Viele haben noch lebhaft den Präsidentschaftswahlkampf 1986 mit Kurt Waldheim in Erinnerung. Damals konnte man die Wählerschaft gegen die bevorstehende Ächtung durch das Ausland noch mit Parolen wie „Wir wählen, wen wir wollen“ und „Jetzt erst recht“ erfolgreich mobilisieren. Österreich ist reifer geworden und die Zivilgesellschaft stärker.

Die Kritik an der Regierung und am Zustand des Landes war bei dieser Wahl und beim Kandidaten der FPÖ nicht gut aufgehoben. Zu unscharf ist die Abgrenzung der FPÖ nach wie vor zu dubiosen deutschtümelnden, antieuropäischen und stark rechtslastigen Tendenzen. Auch wenn ihre scharfe Kritik manchmal und vielen Mitbürger willkommen ist: Letztlich vertraut eine Mehrheit der Menschen in Österreich der FPÖ nicht und will ihr nicht zu viel Macht in die Hände geben. Noch nicht!

Womit wir beim zweiten Punkt sind: Es wäre ein gewaltiger und folgenschwerer Fehler zu glauben, die FPÖ sei nunmehr entzaubert. Die Versuchung für SPÖ und ÖVP mag groß sein, ihr Nichtpolitikmachen und das gegenseitige Haxlstellen fortzusetzen. Aber diese Präsidentschaftswahl wird die letzte gewesen sein, bei der das Schwingen der Nazikeule gegen die FPÖ funktioniert hat.

Warum? Aus drei Gründen: Erstens wird die Wählerschaft gegenüber diesem Argument immer mehr abgestumpft. Zweitens wird die FPÖ zunehmend immun gegen diese Vorwürfe; schließlich wird sie von SPÖ und ÖVP immer öfter in die Regierungsverantwortung eingebunden und es daher immer schwerer werden, die FPÖ bei einer Wahl als Paria zu bezeichnen. Drittens werden Parteien vom Schlag der FPÖ in vielen europäischen Ländern immer stärker, und massive Stimmgewinne durch Rechtspopulisten werden bald keinen Hund mehr hinter dem Ofen hervorlocken.

So bleibt die wichtigste Lehre: Nach der Wahl ist vor der Wahl. Heute schon ist die Präsidentenwahl von vorgestern. Morgen geht das Mikadospiel zwischen SPÖ und ÖVP wieder weiter: Wer sich als Erster bewegt, hat verloren.

Die SPÖ muss sich ebenso wie andere sozialdemokratische Parteien in Europa möglichst rasch neu erfinden. Ob die bisherige Flüchtlings- und Integrationspolitik die richtige ist, ob neue Steuern – sei es auf Maschinen oder Vermögen – und zusätzliche Sozialleistungen wie eine sechste Urlaubswoche der Weisheit letzter Schluss sind, wird sich weisen. Wahrscheinlich wird schon bald in der Wiener SPÖ eine Richtungsentscheidung zu diesen Themen fallen.

Die ÖVP hingegen kann nur den überragenden Vorwahlsieg von François Fillon in Frankreich verweisen. Fillon hatte den Mut, den Wählenden reinen Wein einzuschenken: dass die Steuern in Frankreich zu hoch und die 35-Stunden-Woche nicht leistbar sind und dass die überwuchernde Bürokratie zurückgefahren werden müsse. Diese und einige andere Themen mehr muss sich auch die ÖVP an ihre Fahnen heften, will sie die Bürgerlichen, die Unternehmer, die Selbstständigen, die Entwicklungs- und Leistungsbereiten in Österreich wieder hinter sich scharen.

Eine solche Rundumerneuerung von SPÖ und ÖVP ist die einzige Möglichkeit, um die FPÖ tatsächlich aufzuhalten. Der erhobene Zeigefinger gegen das Tragen der Kornblume im Parlament wird dafür kein weiteres Mal mehr ausreichen.

E-Mails an:debatte@diepresse.com

Zum Autor:

Mag. Martin Engelberg ist Psychoanalytiker, geschäftsführender Gesellschafter der Vienna Consulting Group, Lehrbeauftragter an der Wirtschaftsuniversität Wien und Herausgeber des jüdischen Magazins „NU“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.12.2016)

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