Nichts kann gefährlicher sein als frei schwebende Gedanken

Plötzlich könnte manches, das früher wortwörtlich undenkbar war, wie selbstverständlich gutgeheißen werden.

Es wird unter den Kuriosa der letzten Tage des vergangenen Jahres vermerkt werden: Ein sehr törichter Mensch, nomina sunt odiosa, der an einer Universität als Professor angestellt ist und daher seiner Meinung mit einem Titel Gewicht verleihen kann, hat in einem seiner Ergüsse gefordert, es möge – obwohl dieser Professor als eifriger Unterstützer von Amnesty International ein engagierter Gegner der Todesstrafe sei – ebendiese Todesstrafe für die in der Öffentlichkeit wirksamen Leugner des Klimawandels verhängt werden, da – so die krude Begründung – die Auswirkung ihres Skeptizismus das sichere Verderben von Millionen, wenn nicht Milliarden Menschen zur Folge hätte. Als dieser Vorschlag ruchbar wurde, zog der Professor mit dem Ausdruck des Bedauerns den Artikel zurück. Wir wollen daher diesen dummen Mann mit seiner verrückten Botschaft vergessen. Bemerkenswert ist nur der Vorgang als solcher. Denn er zeigt etwas auf, das wir gerne unter den Teppich kehren: wie gefährlich Gedanken sein können.

In Diktaturen und anderen rigiden Herrschaftssystemen war dies seit den Theokratien des Altertums den Mächtigen bewusst. Die Forderung nach Gedankenfreiheit prallte, so sie sich ihre Stärke bewahren wollten, wie ungehört ab. Es war die bemerkenswerte Leistung der antiken griechischen Stadtstaaten, dass sie ihren freien Bürgern keine Denkverbote auferlegten: Die griechische Götterwelt wurde – ganz im Unterschied zu den Unterwerfung gebietenden Göttern Ägyptens oder des Zweistromlandes – von niemandem ernst genommen. Der frei denkende Mensch allein wird zum Maß aller Dinge. Ganz frei allerdings war das Denken auch bei den Griechen nicht. Es galt, das Denken nach dem Kosmos auszurichten, der vorgegeben ist und in dem wir eingebettet sind. Wobei Kosmos nicht nur das Weltall, sondern überhaupt die Ordnung aller Dinge meint.

Ähnlich argumentierten Denker der Aufklärung, vor allem jene, die sich der Natur und dem Naturrecht verpflichtet fühlten, das sie daraus zu erkennen meinten. Doch je näher wir in die Gegenwart rücken, umso niedriger wird das Geländer, das dem Denken Halt zu geben verspricht. Schließlich landen wir bei Paul Feyerabends „Anything goes“: Buchstäblich alles, auch das scheinbar zunächst Absurde, muss in einem freien Staate gedacht werden dürfen.


Eine solche Freiheit kann sich ein Gemeinwesen nur dann leisten, wenn eine breite, von der überwältigenden Mehrheit der Bevölkerung und von den staatstragenden Gruppierungen getragene Einmütigkeit über die Traditionen, die Zukunftsziele und die Bildung der jungen Menschen vorherrscht. Dieser Konsens war idealtypisch in den vergangenen Jahrzehnten in der Schweiz verwirklicht: Er wird zuweilen als langweilig empfunden, aber es ist eine gute Langeweile, die eine solide Wirtschaft als Basis braucht. Nun droht in Europa dieser Konsens brüchig zu werden. Nur auf enge Themen beschränkte Tabus des Denkens, die Außenseiter mit dem Wort „Gesinnungsterror“ brandmarken, genügen auf lange Sicht nicht. Es ist sogar gefährlich, wie mit Argusaugen nur auf diese Themen zu blicken, ja sogar die Sprache darauf zu dressieren. Denn völlig überraschend kann sich eine Situation des Umkippens ereignen, nach der plötzlich manches, das früher wortwörtlich undenkbar war, wie selbstverständlich gutgeheißen wird.


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Zum Autor:

Rudolf Taschner

ist Mathematiker und Betreiber des math.space im

quartier 21, Museumsquartier Wien.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.01.2013)

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