Wie Krücken, die man abwirft, wenn man gehen gelernt hat

Anmerkungen zu einem Gastkommentar von Peter Kampits, der vergangene Woche in der „Presse“ darüber geklagt hat, dass ein „Aus für den Ethikunterricht“ drohe.

Von Professor Peter Kampits, dem Leiter des Zentrums für Ethik und Medizin an der Donau-Uni Krems, dem Leiter des Zentrums für Ethik in den Wissenschaften in St.Pölten, dem Leiter des Lehrganges Ethik der Universität Wien, einer daher für Ethik „besonders kompetenten Person“ in einem „Presse“-Kommentar (1.3.) namentlich erwähnt zu werden, ist eine große Ehre. Mit ihr geht die Verpflichtung einher, darauf – wenn auch nur als Dilettant im Sinn Egon Friedells – zu antworten.

Und ihm gleichzeitig energisch zu widersprechen. Der Staat tut gut daran, „zu einer langfristigen Abschaffung des Ethikunterrichts zu neigen“. Ich will dies kurz begründen: Die antike Philosophie, die Ethik darin miteingeschlossen, entsprang der Einsicht, dass die griechische Götterwelt lachhaft unglaubwürdig ist und allein der Kosmos den Maßstab des rechten Daseins setzt. Doch aus der Natur der Dinge erkennen zu wollen, was man denken, reden und tun soll, ist eine haarige Angelegenheit. Der Infantizid, die Tötung des eigenen Kindes, war zum Beispiel in der Antike gang und gäbe. Denn es bringen auch Tiere zuweilen ihre Nachkommen erbarmungslos um.

Abraham hingegen wird die Ermordung Isaaks untersagt. Sein Gott, der scheinbar zuerst den Kindsmord verlangt hat, verbietet es ihm. Dieses Bibelwort birgt den Kern des Fortschritts, den die Religion vollzog: Sie gibt eine neue Richtschnur und erlöst von der Illusion, aus der Natur Gesetze des rechten Daseins erkennen zu können. Im dritten Schritt befreite die Aufklärung vom Trugbild, Religion müsse allen im Staate Lebenden zur Verpflichtung gemacht werden.

Obwohl es Religionsgemeinschaften nicht gern hören mögen: Sie sind wie Wittgensteins Leiter beim Finden des Menschen zu sich selbst. Sie sind wie Krücken, die man abwirft, wenn man gehen gelernt hat. Dann ist nicht das Dogma der Religion, sondern das Gewissen des Einzelnen die für die Moral maßgebende Instanz.

Die Interessen des Staates hingegen sind anders geartet. Sie beruhen allein darauf, für Freiheit und Sicherheit der Seinen zu bürgen und für eine ersprießliche Zukunft zu sorgen. Mit Ethik hat das gar nichts zu tun, bloß mit kaltem pragmatischen Kalkül. Das Geschwätz vom zunehmenden „Bedarf an Ethik in Biologie, Medizin, Ökonomie und Technik“ kann man getrost vergessen. Am Ende des Tages zählt für den Staat die Kosten-Nutzen-Rechnung, nicht die in diesem Kontext peinliche Frage nach dem „Guten“ – und das ist so ganz in Ordnung.

Wie aber sorgt der an seiner Zukunft interessierte Staat dafür, dass junge Menschen in ihm das rechte Maß an Freiheit und Sicherheit finden können? Indem er ihnen eine gute Bildung vermittelt. Ein Ethikunterricht, der hinter Nietzsches „Genealogie der Moral“ zurückbleibt, gehört nicht dazu. Was aber tun, wenn Moral „als Maske, als Tartüfferie, als Krankheit, als Missverständnis“ demaskiert ist?

Da derzeit viele dazu neigen, atavistisch der Natur zu glauben und der Aufklärung völlig zu entgleiten, ist es dem pragmatisch denkenden und den Religionen gegenüber völlig neutralen Staat nur zu raten, in den Schulen Religion lehren zu lassen. Nicht missionarisch, sondern bildend. Nicht, weil damit Religionsgemeinschaften gestärkt werden, sondern, weil dies einen wichtigen Schritt des Einzelnen zu seinem eigenen „Sapere aude“ darstellt.


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Zum Autor:

Rudolf Taschner
ist Mathematiker und Betreiber des math.space im
quartier 21, Museumsquartier Wien.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.03.2013)

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