Der Antiamerikanismus feiert in Europa fröhliche Urständ

Russlands Präsident Wladimir Putin ist es gelungen, seine Widersacher dazu zu verführen, wie eine verrückte Katze dem eigenen Schweif nachzujagen.

Die Journalisten des US-Wirtschaftsmagazins „Forbes“ haben recht: Russlands Präsident Wladimir Putin ist der mächtigste Mensch der Welt. Er hat nicht nur, wie in „Forbes“ zu lesen ist, „seine Kontrolle über Russland festgezurrt“, ihm ist in jener Disziplin, die er seit Jahrzehnten aus dem Effeff beherrscht, nämlich seine Widersacher dazu zu verführen, wie eine verrückte Katze dem eigenen Schweif nachzujagen, ein Überraschungserfolg erster Güte geglückt: Nie waren die einst in scheinbar unverbrüchlicher Allianz zueinanderstehenden Staaten des Westens einander misstrauischer, um nicht zu sagen frostiger gesinnt als derzeit.

Der ihm über China – auch kein Hort westlicher Werte – wie eine überreife Frucht vom Baum in die Hände gefallene Verräter Edward Snowden leistet für Putins Absichten gute Dienste. Von Snowden, so wird das Gerücht gestreut, stammt die Information, dass die Staatschefs der mit den USA verbündeten Länder von eben diesen USA abgehört wurden, sobald sie sich elektronischer Kommunikation bedienten.

Denn so stümperhaft die US-Geheimdienste zuweilen bei der Human Intelligence sind, beim Einschleusen von Agenten hinter die feindlichen Fronten, so perfekt arbeitet ihre Technical Intelligence, das Absaugen von Daten im elektronischen Datenstrom. Vielleicht sogar zu perfekt. Denn die Leistung der Staubsauger von Bits und Bytes ist derart phänomenal, dass es kaum mehr möglich ist, in dem monströsen Heuhaufen die wenigen wirklich relevanten Stecknadeln zu entdecken.

Heuchler jedoch sind diejenigen, die allein den Vereinigten Staaten die ungebändigte Lust nach dem Aufspüren von Geheimnissen zutrauen. Der einzige Unterschied zwischen ihnen und den Geheimdiensten der anderen Länder besteht darin, dass sich die anderen wirksam zu schützen wissen. Einem russischen Snowdenski würde der Atem geraubt werden, bevor er ein „Piep“ hauchen könnte. Doch nun ist bei der NSA die Paste aus der Tube, und niemand vermag sie wieder hineinzupressen. Am wenigsten ein Präsident, dessen rhetorische Fassade schon lange nicht mehr von seiner außenpolitischen Inkompetenz abzulenken vermag. Es ist eine Ironie der Geschichte, dass just jener Mann, den viele Europäer wegen seiner Worte „change“ und „Yes, we can!“ wie einen Messias verehren, von allen Präsidenten seit Wilson die Staaten Europas am lockersten links liegen zu lassen gewillt ist.

Klar auch, dass „Forbes“ Angela Merkel in seiner Rangliste der Mächtigsten um drei Stufen herabgestuft hat. Jemand, dessen vermeintlich vertrauliche Gespräche den Schnüfflern bekannt sind, ohne dass dieser es ahnt, verliert an Durchsetzungskraft. Die deutsche Kanzlerin ist sicher klug genug zu wissen, dass sie wohl nicht allein von den jetzt so tapsig scheinenden Amerikanern, sondern auch von anderen abgehört wurde, die in nobler Zurückhaltung hinter dem Vorhang verweilen. Obama das Lauschen gram zu nehmen, der noch immer nicht die richtigen Worte dazu gefunden hat, ist mehr als verständlich. Aber die Verbundenheit Deutschlands mit den USA dafür aufs Spiel zu setzen, wäre ein schwerer Fehler, den sie sicher nicht begeht.

Für eine solche Dummheit stehen andere Europäer zur Verfügung, die sich in ihrem klammheimlichen Antiamerikanismus bestätigt fühlen. Am verrücktesten jene, die Asyl für Snowden im Westen fordern. Putin hätte sicher bloß zum Schein etwas dagegen, ihn ziehen zu lassen. Snowden hat ihm guten Dienst als Marionette geleistet. Geheimnisse, die er von der NSA gestohlen haben mag, hat er in Moskau sicher längst ausgeplaudert. Der Grünpolitiker Hans-Christian Ströbele mag begeistert neben ihm vor den Fotografen posieren, aber rechts von ihm stand bloß eine Larve.

Ebenso blauäugig ist es, spionieren verbieten zu wollen. Vernünftiger ist, sich wirksam vor Spionen zu schützen. Und für Zyniker: die Raffinesse des Gegners zu übertreffen.

E-Mails an:debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.11.2013)

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