Unnötiger Streit: Wovon die Qualität der Schulen wirklich abhängt

Gesamtschule als Waffe: Das ist ein vom jahrzehntelangen Missbrauch völlig stumpf gewordenes und längst vom Rost überzogenes Messer.

Das Phänomen ist bekannt: Nicht um sich dem Tode auszuliefern, sondern um auf sich aufmerksam zu machen, um seiner inneren Zerrissenheit, seiner kläglichen Mutlosigkeit, seiner von ihm als peinlich empfundenen Schwäche Ausdruck zu verleihen, greift ein von seelischen Nöten gepeinigter Mensch zum Messer und schneidet sich die Pulsadern auf. Dieses Phänomen, auf die politische Bühne übertragen, ereignete sich dieser Tage mit der Österreichischen Volkspartei.

Höchst eigenartig dabei ist, welches Instrument für die Selbstmordattacke gewählt wurde: Es handelt sich um ein vom jahrzehntelangen Missbrauch völlig stumpf gewordenes und längst vom Rost überzogenes Messer. Allein das Etikett prangt noch gut leserlich auf ihm: „Gesamtschule“.

Längst vom Rost überzogen bedeutet hier: Der Begriff „Gesamtschule“, geschaffen vom Westberliner Schulsenator Carl-Heinz Evers, ist fast doppelt so alt, wie unser Außenminister an Lenzen zählt. In Mode gekommen ist die Idee der Gesamtschule während der sogenannten Revolution 1968. Und es sind vor allem die Spätlesen der 68er-Bewegung, schon längst ergraute, aber sich immer noch als Speerspitze einer fortschrittlichen Pädagogik fühlende Trommler und Herolde, die bis heute ungerührt daran festhalten: allein die Einführung der Gesamtschule schaffe das Paradies auf Erden. Ihre eigenen Enkel schicken sie – fürs eigene Kind nur das Beste! – in der Regel ins Gymnasium.

Völlig stumpf geworden bedeutet hier: Nach jahrzehntelangen Erfahrungen mit den Gesamtschulen verschiedenster Prägungen in europäischen und nordamerikanischen Staaten zeigte sich keineswegs, dass mit diesem Konzept allein einerseits der Chancengerechtigkeit zum Durchbruch verholfen wurde und andererseits das Bildungs- und Ausbildungsniveau gesteigert werden konnte.

Die Fronten der Befürworter einer einheitlichen Schule aller Kinder vom Beginn der Schulpflicht an bis zu deren Ende einerseits und der Vorkämpfer für das sogenannte „mehrgliedrige System“ bleiben diesem nüchternen Befund zum Trotz verhärtet wie beim Stellungskrieg bei Verdun vor fast hundert Jahren.

Die Worte, beginnend mit „Selektion“ und „Nivellierung“, die man einander entgegenschleudert, sind wie eh und je mit Gehässigkeiten gespickt. Und in Wahrheit handelt es sich um ein makabres Scheingefecht. „Keine Schulform ist per se gut oder schlecht. Es gibt eine gute und es gibt eine schlechte Gesamtschule, genauso ist es mit dem differenzierten Schulsystem.“ Was Stefan Hopmann schon vor fast sieben Jahren der „Presse“ sagte, bleibt nach wie vor richtig.

Auf den Punkt gebracht: Es spricht sachlich nichts dagegen, eine Gesamtschule einzuführen. Aber man muss es gut machen. Das kostet viel Geld. Schon die Einführung der „Neuen Mittelschule“ war nicht ohne finanziellen Mehraufwand möglich. „Ich bin ja nicht das Christkind, dass ich alles erfüllen kann“, ist in diesem Zusammenhang eines der ehrlichen und guten Worte des Finanzministers und Vizekanzlers.

Wenn Vorarlbergs Landeshauptmann Wallner nun frohlockt, dass dieses wahre Wort zurückgenommen wurde, ist das ein lächerlicher Pyrrhussieg und bezeichnend für den jammervollen Zustand der Partei. Zumal Geld für ein gutes Bildungs- und Ausbildungssystem dort eingesetzt werden sollte, wo es wirklich wirkt: Die Qualität der Schule hängt vor allem von den Stärken und Vorzügen der Frauen und Männer ab, die dort unterrichten und erziehen.

Wenn eine Partei schulpolitisch stark sein will, sollte sie sich auf Anliegen wie diese stürzen: Das Niveau der Lehrerausbildung zu heben – da gibt es hierzulande sehr viel Luft nach oben. Für die ideelle wie finanzielle Förderung der guten Lehrer, für Maßnahmen zum Ansporn der mittelmäßigen und für die Trennung von den schlechten zu sorgen. Klingt banal, ist jedoch wichtiger als der unnötige Gesamtschulstreit.

E-Mails an:debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.01.2014)

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