Geschichte sollte uns Melancholie lehren, nie aber nationale Arroganz

Fußnoten zum Artikel von Anton Pelinka im letzten „Spectrum“, der seine Rede zur Ausstellungseröffnung im Jüdischen Museum Hohenems zusammenfasst.

Schon im Titel des „Spectrum“-Aufmachers des vergangenen Samstags von Anton Pelinka verstört ein Missverständnis des Autors. „Europas Juden“, so heißt es dort, können „stolz darauf sein, dass sie einst ,vaterlandslose Gesellen‘ waren“. Aber Stolz ist im Kontext mit diesem bösen Wort, das sich zu „Ungeziefer“ steigerte, der völlig verfehlte Begriff. Geschichte, vor allem jene des letzten Jahrhunderts, lehrt bestenfalls Melancholie, nie jedoch, stolz zu sein.

Mit seinem Irrtum widerspricht Pelinka der eigenen Botschaft, die er in seinem Artikel zum Ausdruck bringen will: dass es verrückter Nationalismus war, der Europa Krieg und Leid bescherte. Wozu Pelinka jedoch die Juden Europas auffordert, führt zu nichts anderem, als zu einer Art nationaler Arroganz – für die es keine vernünftige Basis gibt.

Wie überhaupt niemand berechtigt ist, wegen ehrenvoller Taten seiner Vorfahren aufgeblasen und überheblich zu sein. Allein Verpflichtung wächst hieraus. Die gilt es zu beherzigen. Nicht aber Stolz, weil es eben nicht die eigene Leistung, sondern die seiner Vorbilder ist.

Die Absicht, die Anton Pelinka mit seinem Artikel verfolgt, ist lauter und ehrenhaft. Er ruft Gedanken in Erinnerung, die bereits mehrfach, auch in dieser Kolumne, zu Wort gekommen sind: Schon Jahre zuvor hatte der amerikanische Historiker und Berater im diplomatischen Dienst der USA, Tony Corn, in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ geschrieben. „Das einzige Reich, das jemals den Geist Europas atmete, war das multinationale, von unterschiedlichen Geschwindigkeiten geprägte Habsburgerreich.“ Und der ehemalige britische Diplomat Sir Robert Cooper beschrieb treffsicherer als Pelinka, dass Kakanien manche Vorzüge besaß, die der EU schmerzlich fehlen, aber trotzdem wie in einer Rauchwolke verschwand. Könnte der EU Ähnliches drohen, fragt Cooper bekümmert, zumal sie historisch jung und bei vielen ihrer Bürger unbeliebt ist.

Ich bin mir nicht sicher, ob man den Optimismus Pelinkas teilen kann, zumal er die Gründung der EU in ein allzu rosiges Licht taucht: Es war weniger der Versuch, dem Nationalismus endgültig abzuschwören, der die Gründerväter der Montan-Union antrieb, eher die Angst vor dem Wiedererstarken Deutschlands, das man durch die Einbindung zähmte.

Tot ist der Nationalismus beileibe nicht. Außerhalb der Grenzen der EU feiert er fröhliche Urständ, und niemand darf sich der Illusion hingeben, dass die Bürger der EU-Staaten vor ihm gefeit seien, dass in Europa ab nun für immer, wie Pelinka schreibt, „nationale Identität ihre Relativierung“ findet.

Solange der Motor der Wirtschaft brummt, stimmt es: „Das, was vor 1918 im alten Österreich ein Versprechen war, ist im Europa von heute ein Stück Wirklichkeit geworden“. Aber sobald das bequeme und mit Schuldscheinen, die nie getilgt werden, finanzierte Leben an seine Grenzen gerät, droht, was Pelinka als „Wirklichkeit“ zu sehen glaubt, zu einem potemkinschen Dorf zu verkommen. Und verfehlt ist es auch, wenn Pelinka sich bei seinen Ausführungen auf die Juden Alfred Dreyfus und Walther Rathenau beruft.

Zwar ist richtig, dass Dreyfus und Rathenau als „vaterlandslose Gesellen“ diffamiert wurden. Aber genauso richtig ist, dass beide glühende Nationalisten waren. „Die ersten Europäer“, so der Titel von Pelinkas Artikel, waren sie nicht. Ein besserer Protagonist wäre Albert Einstein gewesen, dem patriotisches Getue zuwider war. Aber vor 1933 wollte er dezidiert auch nicht Jude sein, ihm wurde die Religion seiner Väter fremd.

So einen „vaterlandslosen Gesellen“ wollte Anton Pelinka den „Jüdinnen und Juden“ (allein die unentwegt betont politisch korrekte Sprache nervt; jeder vernünftige Leser wird Frauen wie Männer unter „Juden“ subsumieren) anscheinend nicht antun. Das hätte, befürchtete der Professor wohl, den Stolz geschmälert, den er ihnen in betulicher Beflissenheit aufnötigt.

E-Mails an:debatte@diepresse.com

Zum Autor:

Rudolf Taschner
ist Mathematiker und Betreiber des math.space im
quartier 21, Museumsquartier Wien.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.04.2014)

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