Warum gerade die Lehrerschaft an Ausgebranntsein leidet

Lasst von den Forderungen, die ihr unentwegt an die Schule stellt, endlich ab, möchte man den Verantwortlichen zurufen. Verfolgt eine ganz andere Strategie.

Es ist jetzt amtlich: 37 Prozent aller Erwerbstätigen bestätigen, dass die folgende Aussage auf sie zutrifft: „Ich muss auch zu Hause an die Schwierigkeiten bei der Arbeit denken.“ Aber mit 63 Prozent als einzige Berufsgruppe weit den Durchschnitt übertreffend stimmen die Lehrer dieser bedenklichen und traurigen Aussage zu. Lehrer leiden häufiger als alle anderen Erwerbstätigen an Erschöpfung und dem Empfinden, ausgebrannt zu sein.

Die Zahlen wurden nicht hier bei uns in Österreich, sondern vom Aktionsrat Bildung unseres nördlichen Nachbarlandes im Gutachten „Psychische Belastungen und Burn-out beim Bildungspersonal“ erhoben. Man darf davon ausgehen, dass nicht nur in Deutschland, sondern auch bei uns das Problem genauso besteht. Der Aktionsrat Bildung benennt eine Reihe von Faktoren, die Burn-out begünstigen. „Dabei spielen die ständigen Bildungsreformen eine erhebliche Rolle“, beklagt das genannte deutsche Institut. „So leiden Schulleiter an einem Übermaß an Organisations- und Verwaltungsaufgaben. Vor allem das ,Umsetzen von Reformen des Schulministeriums‘ werde von den Schuldirektoren als stark belastend empfunden.“ Auch hier soll niemand meinen, das treffe zwar bei den anderen zu, nicht jedoch in Österreich. Das Gegenteil dürfte eher stimmen.

Der grundsätzliche Fehler dürfte wohl darin bestehen, dass man einerseits der Schule zu viel zumutet und andererseits auf permanente Kontrolle – oft euphemistisch mit den Unwörtern „Testkultur“ und „Feedback-Kultur“ umschrieben – nicht verzichten will. Die Aufgaben, denen sich die Lehrer gegenübersehen, nehmen ständig zu.

Die Kinder und Jugendlichen zu ihren Bildungs- und Ausbildungszielen zu beflügeln oder wenigstens ein Mindestmaß an Mitarbeit von ihnen abverlangen zu können ist gegenwärtig schwerer als noch vor Jahrzehnten. Und hinzu treten weitere Belastungen, die in der genannten Studie angesprochen werden.

Lasst von den Forderungen und Ansprüchen, die ihr unentwegt an die Schule stellt, endlich ab, möchte man den Verantwortlichen zurufen. Verfolgt eine ganz andere Strategie.

Erstens sollte der Staat darauf verzichten, Schulorganisation und Lehrpläne bis ins letzte Detail zu dekretieren. Es genügt, nur wenige Markierungen zu setzen, denen die Schule als Stätte der Bildung und Ausbildung folgt. Alles weitere soll man den einzelnen Schulen, ihren Direktoren und der Schulgemeinschaft, bestehend aus Lehrern, Schülern und Eltern, in Eigenverantwortung überlassen. Wenn der Lehrer – weiblich wie männlich, das ist ja selbstverständlich – das Gefühl hat, selbst für seinen Erfolg verantwortlich zu sein, gerät er seltener in die Falle des Ausgelaugt-Fühlens.

Zweitens sollte die Gesellschaft Schule nicht so tierisch ernst nehmen, wie es sich im Laufe der letzten Jahrzehnte leider eingebürgert hat – vor allem jetzt, da man von einem standardisierten Test zum nächsten hetzt und ein Aufschrei des Entsetzens ertönt, wenn man einen davon versäumen sollte.

Vor mehr als hundert Jahren maturierte Richard Engländer, der sich später Peter Altenberg nannte, erfolgreich in Deutsch, obwohl er zum Aufsatzthema „Welche kulturellen Errungenschaften verdanken wir Amerika?“ nur das Wort „Erdäpfel“ geschrieben hatte. Geschadet hat es weder ihm noch dem Staat. Heute scheint dies undenkbar.

Obwohl, es gibt einen Hoffnungsschimmer: Eben erschien „Vervollständige die Funktion“, das amüsante Buch von Petra Cnyrim mit 222 genial schlagfertigen Antworten auf nervige Prüfungsfragen. Lehrer sind zu ermutigen, Kindern uneingeschränktes Lob auszusprechen, wenn sie so originell wie bei manchen Beispielen dieses Buches oder noch witziger reagieren. Bei einem zentralen Leistungstest fiele man zwar durch, aber die Frage „An welchem Tag starb Friedrich Schiller?“ ist von jenem Schüler dennoch großartig beantwortet, der ganz richtig schrieb: „An seinem letzten“.

E-Mails an:debatte@diepresse.com

Zum Autor:

Rudolf Taschner
ist Mathematiker und Betreiber des math.space im
quartier 21, Museumsquartier Wien.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.04.2014)

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