Putins Reich auf tönernen Füßen, aber seine Gegner in der Defensive

Wladimir Putin kennt im politischen Geschäft die richtigen taktischen Züge. Der Neo-Machiavellist kann darauf hoffen, dass seine Strategie aufgehen wird.

Paul Lendvai beschrieb im jüngsten seiner Kommentare im „Standard“ Putins Reich als einen Koloss auf tönernen Füßen: „Die Wirtschaftskrise Russlands ist offensichtlich. Noch vor zwei Jahren, im Wahlkampf, versprach Wladimir Putin ein Wachstum von fünf bis sechs Prozent. Bereits 2013 wies die Wirtschaft nur eine Steigerung von 1,3Prozent auf, im ersten und zweiten Quartal 2014 erwartet man sogar einen Rückgang der Wirtschaftsleistung.“

Und mit Missvergnügen stellt Lendvai fest, dass angesichts dieser düsteren Daten die Staatskrise in der Ukraine dem russischen Präsidenten wie eine reife Frucht in die Hände fiel. Denn Paul Lendvai ist die alte Regel vertraut, dass man mit außenpolitischen Erfolgen für lange Zeit von einem innenpolitischen Debakel ablenken kann.

Putin zwingt selbst seinen erbittertsten Gegnern Bewunderung ab, denn er spielt die Rolle des gewieften Außenpolitikers meisterhaft. Er hat nicht nur seinen Machiavelli gelernt, er ist auch durch seine ursprüngliche Profession bestens dafür gerüstet. Als ob er von Karla gelernt hätte, dem von John le Carré erfundenen Chef des „13. Direktoriums“ im sowjetischen Geheimdienst, den einer seiner ehemaligen und dann übergelaufenen Untergebenen so beschreibt: „Sie hätten ihn sehen sollen, wie er mir gegenübersaß! Seine Ruhe, seine Autorität in jeder Situation! Beim Schach würde er jedes Spiel gewinnen, allein durch seine Nerven.“ „Aber er hat nicht Schach gespielt“, wandte Smiley ungerührt ein.

In der Tat: Die Ukraine ist kein Schachbrett, und Staatskunst ist alles andere als ein Spiel. Doch Putin kennt auch im politischen Geschäft die richtigen taktischen Züge, und er kann darauf hoffen, dass seine Strategie, über die Kommentatoren nur rätseln, aufgehen wird.

Seine Ausgangslage ist günstig: Die Proteste gegen sein Vorgehen berufen sich auf die Verletzung des Völkerrechts. Solchen Vorwürfen blickt er ungerührt entgegen, weil er eigene Rechtfertigungen für seine Direktiven verkündet, die ihm erst auf Punkt und Beistrich widerlegt werden müssten, während er inzwischen irreversible Fakten setzt. Manche vergleichen mit moralischem Unterton Putin mit abscheulichen Despoten der Vergangenheit. Doch Moral hat beim Interessenausgleich von Staaten nichts zu suchen. Putin würde nur dann in die Defensive getrieben, wenn er spürte, dass seine Vorgangsweise gegen vitale Interessen der von ihm ernst genommenen Gegner verstieße. Aber dies dürfte aus mindestens zwei Gründen nicht der Fall sein.

Zum einen ist das Schicksal der Ukraine oder der Länder, die aus der Ukraine hervorgehen werden, den Staaten des Westens kein so dringendes Anliegen, dass es ihnen, in Bismarcks Worten, „die Knochen eines einzigen pommerschen Grenadiers wert“ wäre. Selbst wenn die Ukraine die Freiheit hätte, Assoziierungsabkommen mit der Europäischen Union zu beschließen, würde dies bei sinnvoller und zukunftsweisender Durchführung – nicht bei den sattsam bekannten kurzfristigen Geschäften mit schnellem Geld, das bei Oligarchen hängen bleibt – für Jahrzehnte massive Investitionen in Infrastruktur des Landes erforderlich machen.

Es ist sehr zweifelhaft, ob die Bürger Europas dafür Verständnis aufbringen. Im Übrigen waren dafür bereits zwei Jahrzehnte Zeit – und wenig hat sich bisher in dieser Hinsicht getan.

Zum anderen kann Putin darauf vertrauen, dass seinen Gegnern der Ernst dafür, was man einst die „westliche Wertegemeinschaft“ nannte, die den attraktiven Gegenpol zum ehemaligen sowjetischen Modell bildete, verloren ging.

Eine eigenartige Leere bleibt zurück. Die Floskeln von Multikulturalität, politischer Korrektheit und Laissez-faire, Laissez-passer können sie nicht füllen. Selbst Edward Snowden, von verblendeten Verteidigern der Freiheit zum Helden hochstilisiert und sogar für den Friedensnobelpreis vorgeschlagen, ist als Putins Pudel demaskiert. Kein guter Lauf also für Putins Gegner.

E-Mails an:debatte@diepresse.com

Zum Autor:

Rudolf Taschner
ist Mathematiker und Betreiber des math.space im
quartier 21, Museumsquartier Wien.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.04.2014)

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