Ein großer Renegat

Nicht auf die Antworten, auf die Fragen kommt es an.

Vorgestern vor 85 Jahren wurde in Berlin Joseph Weizenbaum geboren. Sein 13. Geburtstag war alles andere als beschaulich. In aller Eile musste seine Familie ihre Heimat verlassen. Josephs Vater, der Kürschnermeister Jechiel Weizenbaum, nahm nur die wichtigsten Dokumente mit, dafür möglichst viele Pelze, mit denen Frau und Kinder angezogen waren.

Sie bildeten den Grundstock für den Neuanfang in Detroit. In den 50er-Jahren war Joseph Weizenbaum Systemingenieur bei General Electric, 1963 wurde er Professor am MIT. Berühmt geworden ist er 1966 mit einem elektronischen Programm namens ELIZA. Der Computer nimmt dabei die Rolle eines Psychotherapeuten ein. Das Programm ist in der Lage, aus den Antworten der Versuchspersonen intelligent scheinende Fragen zu formulieren. Trotz der simplen Struktur waren manche Dialogpartner von ELIZA begeistert und überzeugt, damit besser als mit einem Menschen kommunizieren zu können.

Psychotherapeuten glaubten allen Ernstes, mit ELIZA ein Instrument für eine erste Diagnose zu haben. Weizenbaum war ob seines Erfolges entsetzt. Die blinde Technikgläubigkeit, vor allem seiner Kollegen, ließ ihn zum Renegaten werden. Er verfasste sein berühmtes Buch über die Macht der Computer und die Ohnmacht der Vernunft.

60 Jahre nach der Flucht kehrte er als inzwischen weltbekannter Wissenschaftler nach Berlin zurück. Ich selbst konnte ihn vor vielen Jahren kennen lernen, als er auf Einladung von Johann Götschl in Graz eine fulminante Philippika gegen die sogenannte künstliche Intelligenz vom Stapel ließ.

„Die Aufgabe der Wissenschaft ist es, der Natur Fragen zu stellen. Es gibt unendlich viele Fragen, die gestellt werden können. Von diesen müssen Wissenschaftler diejenigen wenigen wählen, die sie tatsächlich bearbeiten können. Diese Wahl ist vom Zeitgeist der Kultur, in der sie getroffen wird, stark geprägt, fast determiniert“, schrieb Weizenbaum vor kurzem. Und er wehrt sich gegen den Zeitgeist, der Daten, die ein Computer ausspuckt, für Dogmen hält. Damit reduziert sich das Weltbild auf den absurden Glauben, man könne alles wie einen Computer verstehen.

Wie stolz sind Schulen, die von sich behaupten, in jedem Raum den Schülern Internetzugang und einen Computerplatz anbieten zu können. Weizenbaum aber mahnt, dass Kinder nicht vor die Computer gehören, sondern sich mit der lebendigen Welt auseinandersetzen sollen: „Wir müssen Kindern wirkliche Erfahrungen ermöglichen, sie müssen das Leben im wahrsten Sinne des Wortes begreifen können, damit sie ein kritisches Lesen und Denken entwickeln und wach durch das Leben gehen können.“ Die Konsequenz aus Pisa sei nicht, mehr Computer aufzustellen, sondern das eigene Denken zu fördern.

Das Internet, so Weizenbaum, ist voll von Schrott, durchsetzt mit wenigen Perlen. „Ohne die Fähigkeit, kritisch zu denken, kritisch zu lesen, muss man diesen Schrott fressen.“ Keineswegs will er die Computer abschaffen. „Aber die Instrumente sind nicht wertfrei. Sie erben ihren Wert von der Gesellschaft, in der sie entstehen.“

Rudolf Taschner ist Mathematiker und Betreiber des math.space im Wiener Museumsquartier.


meinung@diepresse.com("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.01.2008)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.