Ein genialer Verrückter

Das Universum des Kurt Gödel platzt aus allen Nähten.

Am 28. April 1906 wurde er geboren: Kurt Gödel, der größte Logiker nach Aristoteles und Leibniz, ein durch und durch weltferner Gelehrter, der in jungen Jahren an der Uni Wien bahnbrechende Erkenntnisse veröffentlichte, der nur mit Hilfe seiner Frau auf abenteuerlichem Weg ins amerikanische Princeton emigrieren konnte, der dort Einstein mit seinen Ideen beeindruckte.

Es ist aussichtslos, in wenigen Zeilen andeuten zu wollen, worin seine Leistungen bestanden. Nur eine Anekdote als Idee: Ethan Akin, ein Mathematiker an der City University of New York, erzählte mir, dass er als Bub die größte Zahl, die es überhaupt gebe, gefunden zu haben glaubte. Denn, so sagte er, für eine noch größere Zahl wüsste er keinen Namen mehr zu finden. Ein hübscher Gedanke: Die Sprache beschreibt das Zahlenreich mit logischen Axiomen, sie vermag aber nicht, die Gesamtheit der Zahlen zu durchdringen.

Alles, was logisch widerspruchsfrei gesagt werden kann, ist nach der tiefsten Überzeugung des Kurt Gödel, auch wirklich vorhanden. Die Zahlen: sie seien da draußen, irgendwo in der Welt. Nicht nur sie: alles was vergangen ist, existiert in geheimnisvoller Weise noch immer, alles was sich in Zukunft ereignen wird oder ereignen könnte, genauso. Ebenso, wie Timbuktu „da“ ist, obwohl wir gerade nicht in Timbuktu sind, auch nichts Interessantes mit ihm verbinden, sind nach Gödels Glauben auch seine „Ahnen, die im Totenhemd“ noch immer „da“, ja er vermeinte, sie könnten ihn eher bedrängen als Timbuktu, ihn wie Gespenster bedrohen. So erklärt es sich, dass Oskar Morgenstern, einer der wenigen Freunde, Gödel einmal in seinem Haus besuchen wollte, ihn erst nach langem Suchen im Keller, hinter der Heizung verkrochen, in warme Mäntel gehüllt und schlotternd vor Angst, sein von Zahlen, Figuren, Formeln und Geistern übervolles Universum würde ihn erdrücken.

Gegen Ende seines Lebens steigerte sich seine Manie zum letalen Wahnsinn. Er, der die Welt der Mathematik wie kein anderer durch seine logische Analyse zu überblicken verstand, verkroch sich in seine kleine Kammer in Princeton, ließ kaum jemand zu sich, verlangte von Adele, seiner Frau, dass sie sein Essen mit seinem Besteck vorkosten möge, weil er argwöhnte, man wolle ihn vergiften. Als Adele Gödel selbst erkrankte und ihn nicht pflegen konnte, verweigerte er standhaft jede Nahrungsaufnahme und ist aus Angst vor dem Gifttod absichtlich verhungert. Am 14.Jänner 1978, vor genau 30 Jahren, fand man ihn, keine 30 Kilo schwer, wie ein Fötus in sich gekrümmt, tot in seinem Bett.

Am 28. April, am Geburtstag Gödels, wird um 19 Uhr im Auditorium des MUMOK im Wiener Museumsquartier bei freiem Eintritt der Kultfilm „Kurt Gödel: Ein Mathematischer Mythos“ von Peter Weibel und Werner DePauli-Schimanovich vorgeführt. Eine gute Gelegenheit, dies vorher mit einem Besuch der Ausstellung zu verbinden und vor allem im 7. Stock drei der vielen „Details“ des Malers Roman Opalka auf sich einwirken zu lassen: ein ebenfalls genialer Verrückter, der auf künstlerischem Weg die Aussage des Kurt Gödel belegt, dass es aussichtslos ist, mit Logik allen den Zahlen innewohnenden Geheimnissen auf die Spur zu kommen.

Rudolf Taschner ist Mathematiker und Betreiber des math.space im Wiener Museumsquartier.


meinung@diepresse.com("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.04.2008)

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