„Tag der Befreiung“: Wer will sich da die Freude verderben lassen?

Nicht Opfer, sondern Helden wie Marko Feingold haben alles Recht der Welt, den 8. Mai als Tag der Errettung zu begehen. Andere sollten nachdenklich sein.

Wenige Tage des Jahres sind so geschichtsträchtig wie der heutige 8. Mai. Nur aus Gründen der verschiedenen Zeitzonen – Mitternacht des 8. Mai in Berlin ist bereits 2 Uhr des 9. Mai in Moskau – verlegte die Sowjetunion diesen „Tag des Sieges“ auf den dem 8. Mai folgenden Tag. Sonst aber wird der heutige Tag von den gegen Nazideutschland und seine Verbündeten kämpfenden alliierten Mächten als jenes Datum gefeiert, an dem in Europa der Zweite Weltkrieg sein Ende fand.

„VE-Day“, als Abkürzung für „Victory in Europe Day“, so wird er von den westlichen Siegermächten genannt. „Kriegsende“ war in Deutschland und Österreich die schale Umschreibung dieses Datums, bis sich, fast zwei Generationen später, die einst in der DDR erfundene Benennung „Tag der Befreiung“ weithin verbreitete.

Es stimmt: Für Tausende war und ist es ein Tag der Befreiung. Noch immer erzählt der über hundert Lenze zählende Marko Feingold jungen Menschen von seinem Schicksal: im Habsburgerreich geboren, 1938 in Wien verhaftet, nach Prag geflohen, nach Polen ausgewiesen, dort 1939 arretiert, in die Lager von Auschwitz, Neuengamme, Dachau und Buchenwald deportiert und seit seiner Errettung in Salzburg lebend.

Wohl besonders beeindruckend, wenn ihn die jungen Leute bei dem vom Verein MoRaH wunderbar organisierten und von vielen engagierten Lehrern unterstützten und mitgetragenen Geschichts- und Begegnungsreisen kennenlernen. Marko Feingold zählt zu denen, die den 8. Mai wirklich als Tag der Befreiung empfinden dürfen.

Für Millionen anderer kam dieser Tag zu spät. Und für ungleich mehr Menschen, für die zig Millionen, die 1945 die Niederlage des von ihrem einstigen Idol gebastelten Reiches erlebten, war es alles andere als ein Tag der Befreiung. Einige, und nicht wenige unter ihnen, waren Profiteure des Nazireiches, weil sie in Wohnungen lebten und sich Güter aneigneten, die vorher jenen gehörten, die plötzlich verschwanden. Man wollte gar nicht mutmaßen wohin, man ahnte es dunkel, weil sie wohl nie wiederkommen sollten. Und jene wenigen, die es wussten, sagten verbrämend, die Verschwundenen „gingen ins Gas“. . .

Je weiter er zurückliegt, umso verklärter fällt bei manchen der Blick auf diesen Tag: „Der 8.Mai ist ein Tag der Freude“, wird seither vollmundig von den sich politisch korrekt Gebenden verkündet, die naturgemäß nicht vergessen, die so locker eingeübte Floskel „und gleichzeitig ein Auftrag, wachsam zu sein gegenüber jeder Form von Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und Faschismus“ daran anzuhängen. Das ist erbärmlich billiges Gerede – an jene adressiert, die nicht genau hinschauen wollen und alles nur so zu sehen versuchen, dass es ihrem Bedürfnis nach Wohlfühlen und Behaglichkeit entgegenkommt.

Ab dem 8.Mai 1945 wachsam „gegenüber jeder Form von Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und Faschismus“ waren wenige, die vorher verblendet gewesen sind. Wie sonst konnte Staatskanzler Karl Renner die sogenannten kleinen Leute mit dem Wort entlasten, sie hätten bei dem seinerzeitigen Anschluss an die Nazis gar nicht weit tragende Absichten gehabt, „höchstens, dass man den Juden etwas tut“.

Natürlich, wenn man es so simpel sieht, darf man sich den 8. Mai als Tag der Freude aufschwatzen lassen. Noch dazu, da Renner nur höchst unwillig Juden nach Österreich zurückkehren ließ. Um sich selbst als Opfer definieren zu können, musste man die echten Leidtragenden aus der öffentlichen Wahrnehmung ausblenden, erklärt Maximilian Gottschlich die Maxime Renners. Dann kann man den Tag der Befreiung am schönsten unter sich feiern.

Kein Wunder, dass Marko Feingold den „üblen Antisemiten“ – so zu Recht Christian Ortner – Karl Renner zutiefst verachtet. Doch seiner Forderung „Der Renner-Ring muss weg“ wird kein Ohr geliehen. Denn das würde doch nur die verordnete Fröhlichkeit am „Tag der Befreiung“ verderben.

E-Mails an:debatte@diepresse.com

Zum Autor:

Rudolf Taschner
ist Mathematiker und Betreiber des math.space im
quartier 21, Museumsquartier Wien.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.05.2014)

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