Gut, wenn das Ministerium den Reichtum der Sprache predigt

Österreich kämpft keineswegs gegen „deutschländisches Deutsch“, sondern für den Erhalt und die Verbreitung der sprachlichen Vielfalt.

Die Reaktionen waren bemerkenswert harsch: „Österreich sagt dem Hochdeutschen den Kampf an“, titelte die Hamburger „Welt“. Und „Sprachpflege an Schulen: Österreich kämpft gegen deutschländisches Deutsch“, schrieb der ebenfalls in Hamburg erscheinende „Spiegel“.

Dabei geht es Bildungsministerin Gabriele Heinisch-Hosek und ihren Beamten bei der von ihrem Ministerium herausgegebenen und an alle Schulen verteilten Broschüre keineswegs um einen Kampf, schon gar nicht um einen Sieg gegen das Hochdeutsche. Die Ministerin weiß natürlich, dass sprachliche Änderungen nicht aufzuhalten sind, dass sie im Gegenteil die Lebendigkeit der Sprache bezeugen.

Dennoch ist es eine wichtige Aufgabe, „einen aufmerksamen Umgang mit der deutschen Sprache in Österreich zu fördern“, so Heinisch-Hosek. Und sie hat mit ihrer begrüßenswerten Initiative völlig recht.

Aufhorchen ließ die „Kleine Zeitung“ mit einem defätistischen Kommentar: „Der Wandel des Österreichischen wird nicht aufzuhalten sein“, steht darin. Gemeint ist dabei der Wandel des Österreichischen zu einer Einheitssprache, die, um das hässliche Wort des „Spiegel“ zu wiederholen, wohl in das „deutschländische Deutsch“ münden dürfte. „Sprache ist ein wandernder Fluss, der sich stets ein neues Bett sucht“, so die „Kleine Zeitung“ weiter. „Das Aufschütten brüchiger Ufer hält ihn nur kurz in seinem Lauf. So viele Broschüren können wir gar nicht drucken.“

Tatsächlich aber ist die Aktion des Ministeriums nicht nur gutzuheißen, es besteht durchaus die Hoffnung, dass es mit der Absicht, den jungen Menschen die Vielfalt der Sprache nahezubringen, einen Erfolg verbuchen kann.

Es gibt kaum wichtigere Aufgaben als diese, die ein Bildungsministerium aufgreifen und den Lehrern als Auftrag mitgeben soll. Denn „die Grenzen meiner Sprache bedeuten die Grenzen meiner Welt“, schreibt Wittgenstein als Satz 5.6 in seinem „Tractatus“. Die Heftigkeit der Reaktionen darauf aus den Redaktionsstuben in Hamburg mag vielleicht darin begründet sein, dass den bloß „deutschländisches Deutsch“ beherrschenden Journalisten insgeheim bewusst ist: Das in Österreich gesprochene Deutsch birgt Varianten und Tiefen, die ihnen fremd oder ungewohnt sind.

Dies liegt daran, dass über Jahrhunderte das Land von verschiedensten Kulturen beeinflusst wurde. Man sagt Österreichs Bürgern zwar oft nach, das Fremde nicht zu mögen. Diese üble Nachrede stimmt jedoch zumeist gar nicht.

Als es ein Teil eines Vielvölkerreichs war, hatten die im heutigen Österreich Sprechenden wie selbstverständlich Vokabel vom Slawischen, vom Ungarischen, vom Italienischen und vom Jiddischen übernommen. Überdies war es chic, wie heute das Englische das damals als die Weltsprache angesehene Französisch in die eigene Sprache zu integrieren. So kennen wir nicht nur den Gehsteig, sondern auch das Trottoir, man fadisiert sich, wenn einem langweilig ist. Im Kaffeehaus lässt man sich Marillenpalatschinken ohne Schlag servieren.

Wenn man von einer Matura spricht, denkt man an eine Reifeprüfung, nicht an eine Abgangsprüfung wie beim Abitur. In Ämtern und Schulen werden Vertretungsstunden suppliert und Eintragungen kollationiert– die aus dem Lateinischen stammenden Wörter klingen einfach nobler als die Tätigkeiten selbst, die sie bezeichnen. Hofmannsthal und Rilke hatten Notizbücher, in die sie ihnen bisher unbekannte Worte schrieben, weil sie mit jedem Eintrag die Grenzen ihrer Welt einen Schritt weiter nach außen schoben.

Genauso ist die Broschüre des Ministeriums zu sehen: nicht als Kampfschrift, sondern als Bereicherung. Zum Schluss bleibt es dann immer noch der einzelnen Person überlassen, wie sie sich von ihrem Gegenüber verabschiedet: mit einem charmanten „Ciao“, einem wehmütigen „Adieu“, einem ruppigen „Tschüss“ oder einem einnehmenden „Servus“.

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("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.06.2014)

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