Schlimm, wie dreiste Autoren das „Gerücht über die Juden“ schüren

Ihre Kommentare bestärken Anhänger von Terrorbanden, die sich die Vernichtung eines Volkes auf ihre Fahne heften. Auf dem Heldenplatz flatterte sie.

Die Ereignisse der letzten Wochen veranlassen mich, die Artikelserie zum Thema Arbeit zu unterbrechen: Denn nicht nur in den Städten Frankreichs und Deutschlands, auch hier erweiterte sich schlagartig der Resonanzraum für antisemitische Parolen – dies darf nicht nonchalant übergangen werden.

In seinen „Minima Moralia“ nannte Theodor Adorno den Antisemitismus „das Gerücht über die Juden“. Treffender kann man ihn kaum beschreiben. Man weiß vom Gerücht, dass es von Vorurteilen und der von ihnen eingeengten Sicht auf die Welt genährt wird, man weiß, dass nur Scheusale es von den Dächern verkünden, und dennoch freut sein Verbreiter sich klammheimlich, es möglichst vielen ins Ohr zu flüstern, um es unausrottbar zu machen.

Anfällig dafür sind vor allem jene Verbreiter von Nachrichten, die sich ein eigenes kleines Weltmodell gebastelt haben und damit dem Gerücht Vorschub leisten. Peter Münch von der „Süddeutschen Zeitung“ dürfte zu ihnen gehören. Der Krieg, den Israel gegen die Schurken der Hamas führt, dient ihm zum Vehikel, faktenwidrig und einseitig zu kommentieren. Ein Detail spricht für vieles: In sonst seltener Einigkeit hatte vergangenes Wochenende das israelische Sicherheitskabinett von der immer noch auf einen Frieden mit den Palästinensern hoffenden Tzipi Livni bis zum rabiaten Avigdor Liebermann den Vorschlag von US-Außenminister Kerry für einen Waffenstillstand als unannehmbar abgelehnt. Einfach deshalb, weil Kerrys Entwurf schlechter als stümperhaft war.

Bei Münch liest man dies so: „Israel ist kein gutes Pflaster für John Kerry“ und ein paar Sätze weiter: „Kerry pendelt, Kerry plant und Kerry bettelt, doch die Regierung in Jerusalem sagt einfach Nein zu seinem Vorschlag einer siebentägigen ,humanitären Feuerpause‘.“ Und an anderer Stelle schreibt Münch: „Die Kraft zum Widerstand zieht die Hamas aus dem Leid der eigenen Bevölkerung, und je größer das Leid ist, desto berechtigter scheint der Kampf zu sein.“ Stimmen würde der Satz, wenn er meinte, der Kampf gegen die Hamas sei berechtigt. Aber genau das Gegenteil will er zum Ausdruck bringen. Gegen Israel sei es gut zu kämpfen, das will Herr Münch seinen „Wir haben es von den Juden immer schon gewusst“-Lesern ins Ohr träufeln.

Und Herr Münch ist nicht allein, nicht einmal der auffallend Schlimmste. Julia Amalia Heyer insinuiert im aktuellen „Spiegel“ noch perverser, das Leid in Gaza sei Israels Schuld. Wenn nicht sie, so muss doch wenigstens die Redaktion wissen, wie schnell Heyers stupides Präjudiz in den Köpfen der Leser von Israel auf „die Juden“ verallgemeinert wird. Wie sehr sie die Wahnsinnsparole „Kindermörder Israel“ befördert, die bei den Demonstrationen skandiert wird und die, mit dem uralten Gerücht von kinderschändenden Juden unterfüttert, schnurstracks im Judenhass kulminiert. Keiner der mit wohlfeilen Ratschlägen aus dem bequemen Europa „ausgewogen“ kommentierenden „Nahostexperten“ soll nachher behaupten, er habe das nicht gewollt!

Bei uns in Österreich sei es aber nicht so wild zugegangen wie in Paris oder Berlin, versucht man abzuwiegeln. Die Demonstration gegen Israel letzten Samstag hat am Morzinplatz – wie sinnreich! – begonnen, und manche halten die Parolen „Israel raus aus Palästina“ oder „Stop the Shoa in Palestine“ für einen legitimen Ausdruck der Meinungsfreiheit. Was macht es schon aus, wenn bei dem eine Woche zuvor abgehaltenen Protestmarsch die Fahne der Terrorbande Hamas über dem Heldenplatz wehte? Böse Rufe wie „Juden ins Gas“ und „Tod den Juden“, die man im Ausland hörte, unterbanden die Organisatoren im Vorfeld. Ob sie geflüstert wurden, wissen wir nicht. Aufräumen musste man nach der Demonstration kaum, stellte die Polizei zufrieden fest. Aber der Dreck, den Fritz Edlinger oder Norbert Rozsenich in der „Presse“ vor zwei Tagen hinterließen, bleibt da und riecht.

E-Mails an:debatte@diepresse.com

Zum Autor:

Rudolf Taschner
ist Mathematiker und Betreiber des math.space im
quartier 21, Museumsquartier Wien.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.07.2014)

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