Kaum ein US-Präsident hat je schlimmer enttäuscht als Obama

Zwei Jahre noch. Dann besteht die Hoffnung, dass in der führenden Nation der Welt eine kraftvolle Politik mit Perspektiven für die freie Welt vorherrscht.

Yes we can!“ Vor sechs Jahren wurde dieses Wort vollmundig und lautstark von dem mitreißenden demokratischen Präsidentschaftskandidaten Barack Obama verkündet. Es beflügelte seinen Wahlkampf so sehr, dass ihm die aussichtsreichste Gegenkandidatin in den eigenen Reihen, die aufgrund der langen Präsidentschaft ihres Mannes erfahrene Hillary Clinton, vorzeitig und unerwartet das Feld überlassen musste. Es begeisterte Obamas riesige Anhängerschaft – auch diejenigen, die von Europa aus seinen Aufstieg mitverfolgten – und beeindruckte eine ganze Nation.

Dass davon nur Ernüchterung zurückgeblieben sei, würde die Sachlage nicht angemessen beschreiben. Denn es ist tiefe Enttäuschung zurückgeblieben. Eine deutliche Mehrheit der Bürger der USA glaubt, Obama führe nicht und versage. Ein desillusioniertes „Can't get the job done“ hat das „Yes we can“ ersetzt. „Lahmer war nie ein Präsident so bald nach einer glänzenden Wiederwahl“, schreibt Uwe Schmitt in der „Welt“.

Die von seinen Parolen Begeisterten saßen schon vor seiner ersten Wahl einem Showman auf, einem im Regierungsgeschäft Unerfahrenen, der vor dem Einzug ins Weiße Haus noch nie ein Exekutivamt bekleidet hatte. Dem aber, das sei ihm zugestanden, mit der Ernennung seiner einstigen Rivalin und ihm politisch um Lichtjahre überlegenen Hillary Clinton zur Außenministerin ein bemerkenswerter Glücksgriff gelang. Kaum jemand dürfte ahnen, wie schwer es ihr gefallen war, unter diesem Präsidenten ihrem Land zu dienen.

Nun, da sie sich freigespielt hat, fällte sie ein im Grunde vernichtendes Urteil: Was Gaza angeht, stellt sie sich so eng zu Israel, dass kein Seidenpapier dazwischenpasst. Sie verurteilt – anders als der Präsident – allein die Hamas als Schuldigen für die menschlichen Tragödien der jüngsten kriegerischen Auseinandersetzung. Vor Kurzem hob John Cassidy im „New Yorker“ just hierin die klare Position Clintons und ihre deutliche Abgrenzung zur Denkweise von Obama hervor. Clinton kritisiert den Iran und sein Nuklearprogramm in voller Schärfe, während der Präsident die Ergebnisse seiner Verhandlungen preist.

Obama, der einst effekthaschend dem mörderischen Despoten in Syrien mit einer roten Linie gedroht hat, ist, so deutet Clinton an, in diesem Konflikt, welcher der Keim eines viel größeren ist, zum traurigen Zerrbild des Quintus Fabius Maximus Cunctator geworden: Dieser hat durch sein Zaudern den Feind zermürbt, jener stärkt durch sein Zaudern den militanten Islam und die brutalen Jünger des Jihad, des Heiligen Kriegs, der jetzt noch an Euphrat und Tigris wütet, bald aber vielleicht bei uns in Europa die Menschen in Angst und Schrecken versetzen wird.

Jetzt erst, viel zu spät, reagiert der Präsident – und nichts an seiner Reaktion lässt darauf schließen, dass er dabei einem langfristigen Plan folgt. Im November stehen Kongresswahlen bevor; darauf dürfte sich sein Interesse reduzieren. Obama scheint seinen Grillparzer gelesen und auf sich übertragen zu haben: „Auf halben Wegen und zu halber Tat mit halben Mitteln zauderhaft zu streben.“

Auf der Insel Martha's Vineyard in Massachusetts, wo die Obamas ihren Urlaub genießen – wann, wenn nicht jetzt? –, gab man sich bei einem glanzvollen Dinner der Illusion hin, die Unstimmigkeit zwischen Clinton und Obama sei beseitigt. Die Obamas sind mit Bill und Hillary Clinton an einem Tisch gesessen: Man lachte in die Kamera, mimte leichten Smalltalk, umarmte einander freundschaftlich – niemand sah die zusammengebissenen Zähne, die in der Tasche geballte Faust.

Hillary Clinton aber hat den Willen und die Kraft, wenn ihr in zwei Jahren das Vertrauen geschenkt wird, das Ruder herumzureißen. Und wenn es nicht sie sein wird, wird es jemand anderer übernehmen müssen: um dieser führenden Nation der Welt, von der auch die Zukunft Europas abhängt, eine kraftvolle Politik mit Perspektiven für eine freie Welt zu geben.

E-Mails an:debatte@diepresse.comZum Autor:

Rudolf Taschner
ist Mathematiker
und Betreiber des math.space im
quartier 21,
Museumsquartier Wien.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.08.2014)

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