Krieg ist der Normalzustand, der „ewige Friede“ ist nur ein Traum

Der Philosoph Immanuel Kant hatte beim Verfassen seiner gleichnamigen Schrift ein Gasthaus mit diesem Namen und mit einem Friedhof als Emblem vor Augen.

Mitte dieses Monats hielt Herfried Münkler, Professor für politische Theorie und Ideengeschichte an der Humboldt-Universität in Berlin, einen Vortrag über den europäischen Traum vom ewigen Frieden.

Ausgangspunkt seiner Erörterungen war – was uns Heutigen kaum noch bewusst ist – die Feststellung, dass in der Menschheitsgeschichte bis hin zur Moderne über die Jahrhunderte hindurch nicht der Friede, sondern der Krieg der „Normalzustand“ war. Paradigmatisch finden wir dies bei den griechischen Stadtstaaten in der Antike verwirklicht: Die stets drohende Mangelwirtschaft – am wirkungsvollsten dadurch überwindbar, dass man Nachbarvölker versklavt – führte zu andauernden Streitigkeiten, die nur alle Olympiaden für ein paar Tage unterbrochen wurden.

Lange Friedensepochen stellten in den früheren Jahrhunderten die Ausnahme dar. Entweder kamen sie durch den eindeutigen Sieg einer alle anderen Völker unterdrückenden Macht zustande, wie es bei der Pax Augusta der Fall war. Oder aber die Kämpfe versandeten nach einer völligen Erschöpfung der Kontrahenten, wie es sich am augenscheinlichsten wohl beim Westfälischen Frieden ereignete. Sowohl das eine – falls man nicht zum Sieger zählt – wie auch das andere sind nicht besonders erstrebenswerte Zustände eines Friedens.

Aus dieser Sicht war der Wiener Kongress, der dieser Tage vor 200 Jahren begann, eine bemerkenswerte Wende der Geschichte, die sicher der Aufklärung zu verdanken ist. Obwohl die großen Akteure des Kongresses, Castlereagh, Nesselrode, Hardenberg, Talleyrand, Metternich, in ihrem Bemühen um Interessenausgleich der Großmächte als Realpolitiker und in ihrem Bestreben nach Legalität und Stabilität als Konservative gelten, haben sie doch alle in ihrer Jugend – eigentlich waren nur Hardenberg und Talleyrand damals wirklich alt – die Ideen der Aufklärung kennen und schätzen gelernt.

Kant verfasste die Schrift vom „ewigen Frieden“. Seit dem Wiener Kongress sah man den angestrebten „Normalzustand“ nicht mehr im Krieg, sondern im Frieden, der nicht durch ein Diktat einer Macht, sondern in einem fein austarierten Gleichgewicht der Mächte erhalten wird.

Im Prolog des neusten von Hannes Androsch, Manfred Matzka und Bernhard Ecker herausgegebenen Buches „14 Ereignisse, die die Welt verändert haben: 1814 – 1914 – 2014“ zeigt Androsch in einer bemerkenswerten Tour d'Horizon, welche Umbrüche und Umwälzungen seither erfolgten, mit welcher Beschleunigung sich das Gesicht der Welt seither wandelte. Unvoreingenommen betrachtet müssten die vielfältigen Errungenschaften (nur 14 wurden in dem Buch beispielhaft herausgegriffen), die seit dem Wiener Kongress unser Leben zum Besseren veränderten und unseren Horizont erweiterten, der Idee des „ewigen Friedens“ zum endgültigen Durchbruch verhelfen.

Aber Androsch gelingt es zugleich, eindrucksvoll zu verdeutlichen, warum es sich dabei um eine unvoreingenommene Betrachtung handelt. Nicht umsonst wird im Buchtitel nach 1814, dem Jahr des Wiener Kongresses, auch 1914, das Jahr des Ausbruchs eines wahnwitzigen Krieges genannt.

Wahnwitzig war dieser Krieg deshalb, weil knapp davor bei gutem Willen aller Beteiligten allein aufgrund des von Wissenschaft und Ingenieurkunst bereitgestellten Fundaments beste Voraussetzungen für den Beginn eines Goldenen Zeitalters bestanden.

Als drittes Datum nennt Hannes Androsch in diesem Buch das Jahr 2014 – die Gegenwart. Wie gehen wir einerseits mit den im Buch geschilderten Umwälzungen und Umbrüchen und andererseits mit den anscheinend nicht zu tilgenden Irrationalitäten, die in den Köpfen von Fanatikern toben, um?

Aller Aufklärung zum Trotz bleibt es für immer ein Traum, dass der zeitlich begrenzte Friede zum ewigen Frieden wird. Und die allergrößte Gefahr besteht darin, dass die am Frieden orientierten Gesellschaften am verwundbarsten sind.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

Zum Autor:

Rudolf Taschner
ist Mathematiker und Betreiber des math.space im
quartier 21, Museumsquartier Wien.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.09.2014)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.