Mathematik und Österreich - alles andere als eine eigenartige Paarung

In der am 8. Oktober im Wiener Museumsquartier beginnenden Vortragsreihe wird erläutert, wie der Genius loci auf die Mathematik Einfluss nimmt.

Mathematik und Österreich: Noch vor drei, vier Jahrzehnten galt dies als eine eigenartige Paarung. Mathematik mit Deutschland, dem Land von Leibniz, Gauß, Hilbert, Mathematik mit Frankreich, dem Land von Descartes, Pascal, Poincaré, Mathematik mit Ungarn, Polen oder Russland in Beziehung zu sehen, war seit jeher Tradition. Aber nur Feinspitze der Wissenschaften wussten, dass auch Österreich im Kontext mit Mathematik zu nennen wäre.

Ich selbst kann mich noch gut erinnern, als mir mein Mathematiklehrer Hans-Joachim Lutter in der Schule empfohlen hatte, bei meinem Studium unbedingt die Vorlesungen von Lafker zu inskribieren, denn dieser sei gegenwärtig in Wien der bedeutendste Mathematiker. Ein wenig verwirrt suchte ich im Vorlesungsverzeichnis bei den Mathematikveranstaltungen vergeblich den Namen Lafker, bis ich endlich entdeckte, dass Professor Lutter mir den Namen Hlawka genannt hatte. Tatsächlich war Edmund Hlawka, der mein Dissertationsvater werden sollte, in mathematischen Kreisen sehr bekannt, kaum aber in den von der Musik und den Geisteswissenschaften geprägten gebildeten Zirkeln der österreichischen Gesellschaft.

Mit Erscheinen des Kultbuches „Gödel – Escher – Bach“, das in den 1980er-Jahren alle kauften und priesen, aber niemand las, änderte sich dies zum Besseren. Denn Kurt Gödel, der eigentliche Protagonist dieses Best- und Longsellers von Douglas Hofstatter, war Österreicher, als er seine epochalen Leistungen vollbrachte. Zusammen mit Leibniz ist er der größte mathematische Logiker aller Zeiten. Und auch im Kontext mit der großartigen Ausstellung „Traum und Wirklichkeit – Wien zwischen 1870 und 1930“ sickerte langsam die Botschaft durch, dass die richtungsweisenden Leistungen und die beachtlichen Erfolge Wittgensteins und des Wiener Kreises um Moritz Schlick nicht zuletzt der österreichischen Mathematik zu verdanken sind.

Kommenden Mittwoch werde ich um 19 Uhr in den Hofstallungen des MUMOK im Wiener Museumsquartier den ersten von vier Vorträgen über „Mathematik in Österreich“ halten – mit dem Ziel, dem Publikum ein paar der zahlreichen und bedeutenden Erkenntnisse vorzustellen, die von Mathematikerinnen und Mathematikern in Österreich gewonnen wurden. Schon kurz nach der Gründung der Wiener Universität entwickelte sich diese zu einer Hochburg der damaligen „angewandten“ Mathematik, wobei die „Anwendungen“ vor allem in der Festigung des astronomischen Wissens bestand. Von Georg von Peuerbach und von Regiomontanus, die in Wien wirkten, wurden nämlich die Grundlagen für den wegweisenden Durchbruch des heliozentrischen Weltbildes gelegt.

Tatsächlich wäre damals der Universität Wien, hätte es in dieser Zeit schon die heutzutage vielfach überbewerteten Rankings gegeben, jedenfalls im Bereich der Mathematik unter allen Hohen Schulen ein unangefochtener Spitzenplatz sicher gewesen.

Von diesem glanzvollen Ausgangspunkt führen die weiteren Vorträge dieser Reihe über Johannes Kepler, Ludwig Boltzmann, die Wiener Mathematik des frühen 20. Jahrhunderts bis hin zum Wiedererstarken dieser Disziplin in unserem Land nach dem Zweiten Weltkrieg.

Einzigartige Persönlichkeiten vermögen ihre Umwelt so zu inspirieren, dass um sie herum eine geografische Hochburg ihrer Disziplin entsteht. Aber auch umgekehrt darf man den Genius loci nicht geringschätzen: Das geistige Klima, ja die Aura eines Ortes vermag oft in einzigartiger Weise schlummernde Talente zu wecken.

Insgeheim ist dies auch das Ziel dieser Veranstaltungsreihe des math.space, und darum wird diese Institution von den Ministerien unterstützt: Die Zukunft unseres Landes hängt wesentlich davon ab, dass viele junge Menschen Mathematik als attraktiv empfinden. Denn dies entscheidet letztlich darüber, ob der kommenden Generation die Gestaltung unseres Landes gelingt.

E-Mails an:debatte@diepresse.com

Zum Autor:

Rudolf Taschner
ist Mathematiker und Betreiber des math.space im
quartier 21, Museumsquartier Wien.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.10.2014)

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