Mit Gewaltausübung hat eine gute Religion nichts gemein

Religionsgemeinschaften mögen nach politischem Einfluss, sogar nach Herrschaft streben. Aber auch den Verfechtern profaner Ideologien ist dies nicht fremd.

Schon wieder erleben wir Religion und Gewaltausübung in systemischer Einheit“, schreibt Kurt Kotrschal in seiner jüngsten „Presse“-Kolumne (9.12.) mit Blick auf die gewalttätigen Monster des Islamischen Staates, die im Namen des Propheten morden und brandschatzen. Wiewohl Professor Kotrschal zuzustimmen ist, dass Religionsgemeinschaften allzu oft in der Geschichte Unheil über die Welt gebracht haben, ist dennoch kritisch anzumerken, dass man mit den gewählten Begriffen sehr sorgfältig umgehen sollte: Strikt ist zwischen der Religion des Einzelnen und der Religionsgemeinschaft zu unterscheiden. Schon Kurt Gödel, der am schärfsten denkende Logiker seit Leibniz und Aristoteles, hat auf dieser Differenz bestanden.

Religionsgemeinschaften dienen dazu, alte und ehrwürdige Schriften zu überliefern, die kein vernünftiger Mensch als buchstabengetreue Mitteilungen objektiver Wahrheiten ansieht, sondern, Kunstwerken gleich, zum Meditieren, manche sagen zum Beten, veranlassen und deren Worte nur als Symbole zu deuten sind. Sie dienen dazu, die rituellen Handlungen von einer Generation zur nächsten weiterzugeben, die – wie unbeholfen sie „von außen“ betrachtet scheinen mögen – den Blick des Einzelnen von der banalen Welt des Alltags weg in eine sakrale andere Welt lenken sollen.

Dass Religionsgemeinschaften darüber hinaus möglichst wirksam die Geschicke der Gesellschaft zu bestimmen trachten, ja sogar nach Einfluss und Herrschaft streben, hat – was zum Beispiel Buddhismus, Judentum und Christentum anlangt – ganz und gar nichts mit den Grundsätzen ihrer Religion zu tun, sondern diese den genannten Religionen völlig fremden Tendenzen gründen auf der rein diesseitigen Conditio Humana: Auch die Verfechter von Ideologien, denen Transzendenz fremd ist, ja die Religion harsch ablehnen, entkommen diesem Streben nach Macht nicht.

In diesem Sinn mag die Analogie mit der Welt der Wölfe, die Kotrschal in seinem Artikel ausführte, zutreffend sein, allerdings nicht allein auf Religionsgemeinschaften.

Religion hingegen ist allein auf den Einzelnen zugeschnitten. Nur eine Person kann religiös sein, eine Gemeinschaft ist dies nie. Es mag sein, dass Kotrschal Religiosität als irrational empfindet, und er hat insofern recht, als ein religiöser Mensch seinen Glauben in der Tiefe seiner Seele verankert sieht.

Die gute Nachricht ist, dass es aus gesellschaftlicher Sicht „gute“ Religionen gibt – „gut“ in dem Sinn, dass die Religion des Einzelnen keinerlei Einfluss auf den Staat ausübt, der sich, ganz im Diesseits verhaftet, um die Sicherheit, Freiheit und die gute Zukunft für alle seine Bürger, unabhängig von Geschlecht, Herkunft oder Religion, bemüht. Nur bei einer „schlechten“ Religion ist Kotrschal zuzustimmen: Sie sollte vom Staat geächtet werden.

Tatsächlich ist Religiosität kein atavistisches Relikt unaufgeklärter Menschen. Ganz der Religion fern sind wohl nur sehr wenige – obwohl sich manche ihre Religiosität nicht einmal selbst eingestehen wollen.

Berühmt ist der von Bruno Kreisky oft getätigte Ausspruch, ihm sei nicht die „Gnade des Glaubens“ gegeben – ein Wort, in dem sowohl leicht übertriebene Bescheidenheit wie auch ein wenig Koketterie mitschwingen. Denn einen der entscheidenden Momente seines Lebens, als er den Nazi-Schergen entfliehen konnte und die Dokumente für die Ausreise erhielt, schildert er so: „Ich erinnere mich noch heute, wie ich in diesem Augenblick das fast unabweisbare Bedürfnis hatte – ich sage das ohne jegliches Pathos –, auf dem freien Boden Dänemarks auf die Knie zu sinken. Es gibt Augenblicke, in denen auch nicht religiöse Menschen danken wollen.“

Offenkundig ist der hier gebrauchte Ausdruck „nicht religiös“ ein Schutz vor der Vereinnahmung durch eine Religionsgemeinschaft – doch diese ist den Religiösen bloß die berühmte Leiter im Tractatus 6.54 von Wittgenstein.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

Zum Autor:

Rudolf Taschner ist Professor an der Technischen Universität Wien und hält dort die Vorlesung „Mathematik für Studierende der Elektro- und Informationstechnik“.

In diesem Jahr ist dazu sein dreibändiges Buch „Anwendungsorientierte Mathematik“ bei Hanser erschienen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.12.2014)

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