Wozu Mathematik? Auf diese Frage gibt es mehr als nur eine Antwort

Zahllose Alltagsbeispiele belegen, dass Mathematik nützlich ist. Trotzdem haben viele, wenn es auf das Denken und Schätzen ankommt, damit Probleme.

Es ist vollbracht. Die Tafel ist mit Zahlen, Buchstaben und Symbolen überfrachtet, rechts unten prangt, zweimal unterstrichen, die Lösungsformel der quadratischen Gleichung. Auch der Einstieg zu Beginn der Stunde ist gut gelungen, am Anfang stand ein Rätsel: Von zwei Zahlen kennt man die Summe 7 und das Produkt 12. Wie lauten die Zahlen? „Das kann man ja sofort erraten: 3 und 4!“, rief eine Vorwitzige heraus, doch die Frau Professor wusste geschickt zu kontern: „Aber wenn die Summe 8 und das Produkt 14 beträgt, ist das nicht so einfach. Wir wollen nicht raten, sondern systematisch vorgehen.“

Und das geschah auch so. Erschöpft von den vielen Erklärungen und froh, noch zeitgerecht zur gewünschten Formel vorgedrungen zu sein, blickt knapp vor dem Läuten die Lehrerin in die Klasse: „Gibt es noch Fragen?“ Paul zeigt auf: „Bitte, Frau Professor, wozu brauch ich das?“ Pauls Skepsis ist berechtigt. Wenn er Hotelier, Arzt, Schauspieler oder Journalist wird, löst er nie mehr in seinem Leben quadratische Gleichungen. Auch nicht bei den meisten anderen Berufen, die er ergreifen mag.

Die Rechtfertigung, man werde sie später noch brauchen, stimmt für ihn schlicht und einfach nicht. Noch fadenscheiniger ist die Ausrede, dieses Stoffgebiet sei Teil des Unterrichts, weil bei der Matura quadratische Gleichungen zu lösen seien. Damit verlagert man die Frage nur auf die Matura und die Brauchbarkeit der dort gestellten Aufgaben.

Die Frage nach dem Wozu verfolgt den Mathematikunterricht, seitdem Jugendliche dazu ermuntert wurden, kritisch zu denken. Und sie ist durchaus berechtigt. Kommenden Mittwoch beginnt in den Hofstallungen des Mumok im Museumsquartier eine Vortragsreihe, die Pauls Frage ernst nimmt und Antworten auf die Frage „Wozu Mathematik?“ zu geben versucht.

Drei Aspekte drängen sich dabei auf: Erstens ist es in vielen Beispielen offensichtlich, dass Mathematik nützlich ist. Zuweilen klingen manche Alltagsbeispiele banal, dennoch haben viele Menschen– vor allem, wenn sie nicht rechnen, sondern nur schätzen sollen – erstaunliche Mühe, diese zu meistern. Diese „Mathematik des gesunden Menschenverstands“ darf man nicht gering schätzen. Sie gut zu lehren ist volkswirtschaftlich von eminenter Bedeutung – und manchmal sogar unterhaltsam, besonders dann, wenn die Lösung einer Aufgabe eigenartig überrascht.

Zweitens hilft die Mathematik, die Welt zu verstehen, zuweilen – wie Eugene Wigner einmal angemerkt hat – auf verblüffend wundersame Weise. Dies stellt die Voraussetzung dafür dar, die Welt, sei es jene der Natur, sei es jene der Wirtschaft, verantwortungsvoll gestalten zu können.

Drittens erlaubt die Mathematik in einzigartiger Weise, die Schönheit des Verstehens selbst zu erfassen. Zuerst sieht man sich mit einer Frage konfrontiert, die verwirrt und einen zunächst ratlos zurücklässt. Doch plötzlich, wenn man der Lösung gewahr wird, erkennt man, dass die Antwort nur so und nicht anders lauten kann, und man ist über diese Einsicht hochbeglückt.

Diese Sucht nach dem Verstehen-Können ist die eigentliche Triebfeder der Mathematik. Wer dieser Sucht verfallen ist, fragt nicht mehr nach dem Wozu.

Es ist nicht einfach, im Mathematikunterricht den drei hier genannten Aspekten gerecht zu werden. Vorgaben wie jene der zentral gestellten Prüfungsbeispiele schränken mitunter den Freiraum ein, den eine Mathematik braucht, die auch einem Schüler wie Paul gefällt.

PS: Die beiden Zahlen, deren Summe 8 und deren Produkt 14 lauten, errechnen sich als 4 plus der Wurzel von 2 und als 4 minus der Wurzel von 2. Da die Wurzel von 2 rund 1,4 ist, stimmen 5,4 und 2,6 recht gut mit den gesuchten Zahlen überein. Ganz exakt ist die Antwort 5,4 und 2,6 aber nicht. Denn streng genommen hat das Rätsel gar keine Zahlen als Lösung. Aber das ist eine andere Geschichte...

E-Mails an: debatte@diepresse.com

Zum Autor:

Rudolf Taschner
ist Mathematiker und Betreiber des math.space im
quartier 21, Museumsquartier Wien. Am

11.März startet in den Hofstallungen des Mumok die Veranstaltungsreihe „Wozu Mathematik?“ mit einem Vortrag Taschners. Thema: „Mathematik und der Alltag“ (Beginn: 19h).

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.03.2015)

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