Wie wir dem technologischen Paradoxon entkommen könnten

Das Stille und Leise hat für viele seinen Charme verloren: Gedankensplitter anlässlich des in Kürze stattfindenden Internationalen Tags gegen den Lärm.

Was man euch ins Ohr flüstert, das verkündet von den Dächern“, hören wir den Heiland seinen Jüngern sagen. „Von den Dächern verkünden“ galt damals als die am weitesten tragende, die lauteste Botschaft. Die Schauspieler in den antiken Theatern deklamierten ihre Texte durch personae genannte Masken; das Wort leitet sich von personare ab, das hindurchtönen bedeutet. Und die Theater waren so geschickt entworfen, dass selbst die geflüsterten Silben der Mimen bis hinauf in die höchsten Ränge verstanden wurden.

Heutzutage werden Stimme und Schall elektrisch um ein Vielfaches dessen verstärkt, was damals den feinsinnigen Ohren gutgetan hätte. Der Lärm von Maschinen tut ein Übriges, um unser Gehör zum Stumpfsinn zu zwingen. Schlimm nur für jene, die dem Reiz der feinen Töne noch etwas abgewinnen können.

Das hat nicht nur mit den Äußerlichkeiten einer Schalldrucksteigerung zu tun, sondern geht zugleich mit einer Banalisierung der verbreiteten Botschaft einher. Ich will es das technologische Paradoxon nennen, dem wir unterworfen sind: Je ausgefeilter die Technik des Informationstransportes ist, desto platter wird – Ausnahmen bestätigen die Regel – der Inhalt dieser Information.

Im visuellen Bereich erleben wir es im Internet, beim Fernsehen und im Kino: Die in höchster Auflösung produzierten, in imposant strahlenden Farben ausgestatteten, mit den geschliffensten technischen Tricks versehenen Filme oder Fernsehserien leiden in der Regel an kläglicher inhaltlicher Seichtheit. Allerdings: Die Augen kann man verschließen, die Ohren leider nicht.

Am kommenden Mittwoch findet der Internationale Tag gegen den Lärm statt. Den Initiatoren geht es vornehmlich um den Verkehrslärm, um den von Arbeitsmaschinen erzeugten Schall. Diese Angriffe auf unsere Ohren abzuwenden oder wenigstens zu mildern, ist bestimmt ein achtbares und anerkennenswertes Ziel. Doch zu diesen Schallquellen kommt noch der Lärm, der willentlich erzeugt und auf Teufel komm raus mit Verstärkeranlagen ins schwer Erträgliche gesteigert wird.

Für diejenigen, die ihn produzieren oder im tumben Rausch konsumieren, mag es ein Vehikel sein, ihren Emotionen Ausdruck zu verleihen. Und dies gemäß des technologischen Paradoxons umso lauter und effektiver, je tiefer sie in den atavistischen Trivialitätsmodus versinken. Das Prinzip des alten Fritz beachtend, wonach jeder nach seiner Fasson selig werden mag, wäre nichts dagegen einzuwenden, wenn daneben jene, die die Gefühlsausbrüche der sich im Getöse Ergehenden nicht zu teilen vermögen, auch von deren Schallwellen unberührt blieben.

Wobei die unter dem Lärm Leidenden oft einen schweren Stand haben. Gelten sie doch, wenn sie auf ihr Bedürfnis nach Ruhe hinweisen, als uneinsichtige Spielverderber, die scheinbar legitime, wenn auch ungehemmte Äußerungen nicht zu tolerieren bereit sind. Eine solche Toleranz wird von den Gläubigen des Gedröhns, den Fetischisten der Verstärker wie selbstverständlich eingefordert.

Denn nur, was laut und schrill ist, erachten die selbst ernannten Experten des modernen Lifestyles als zeitgemäß. Das Stille und Leise hat seinen Charme für sie längst verloren.

Das wäre, nicht nur am Internationalen Tag gegen den Lärm, sondern für ein paar Wochen ein reizvolles Experiment: Wie würde sich unser Leben gestalten, wenn für diese Zeit alle Verstärkeranlagen ausgeschaltet wären, wenn man alle Lautsprecher höchstens in Zimmerlautstärke betreiben kann, wenn Redner nicht in Mikrofone, sondern direkt zu den Menschen sprechen, wenn man Instrumente so hört, wie sie wirklich klingen?

Plötzlich würde man nicht mehr einer Person lauschen, weil ihre Stimme vom mächtigsten Gerät verstärkt wird, sondern weil sie das Interessanteste zu sagen hat. Plötzlich entkämen wir, jedenfalls im Bereich der Akustik, dem technologischen Paradoxon.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

Zum Autor:

Rudolf Taschner ist Mathematiker an der TU Wien und betreibt mit seiner Frau und mit Kollegen der TU Wien das Projekt math.space im Wiener Museumsquartier.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.04.2015)

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