Eingeweidewühler, Vogelschauer, Sterndeuter – Zukunftsforscher

Ein kleiner Ratgeber für all jene, die ohne viel Fachwissen, Fleiß, Sorgfalt und Pflichtbewusstsein möglichst rasch erfolgreich werden wollen.

Sollten Sie unschlüssig sein, welche Profession Ihnen für Ihr weiteres Leben hinreichend viel Unterhalt garantiert, ohne dass Sie in Fachwissen, Fleiß, Sorgfalt und Pflichtbewusstsein besonders glänzen müssen, empfiehlt sich der Beruf des Zukunftsforschers. Am auffälligsten und wohl auch am einträglichsten sind jene dieser Zunft, die sich um die weit entlegene Zukunft kümmern: Wie die Welt in 50 oder noch mehr Jahren aussehen wird. Da kann man die farbigsten, atemberaubendsten Science-Fiction-Entwürfe vorlegen und mit sonorem Gehabe behaupten, die Szenarios seien wissenschaftlich abgesichert.

Zur Rechenschaft gezogen wird man ohnehin nie. Denn in 50 Jahren wird, was heute als Prognose gilt, Makulatur sein. Doch jetzt kann man damit reüssieren – mundus vult decipi. (Das hat Tradition: Noch immer warten wir auf die von Malthus vorhergesagte Katastrophe.)

Fast genauso abgesichert ist man, wenn man sich als Zukunftsforscher den Schulen widmet. Reinhold Popp, eine Koryphäe unter den Bildungsfuturologen, zeigte in einem im „Standard“ vor Kurzem erschienenen Interview, wie der gewiefte Profi vorgeht: Verantwortungsbewusst zu sprechen ist für Popp selbstredend unnötig. Denn eines kann er sich gewiss sein: Sein Idealbild einer künftigen Schule wird nie realisiert. Popp spricht andauernd im Potentialis. Dafür – wie es einem versierten Zukunftsforscher ansteht – mit einem bizarren Geschwurbel, das sein Publikum und zuletzt ihn selbst in eine Traumwelt versetzt, an die mit Inbrunst zu glauben ist.

Da wird davon schwadroniert, es gehe in der Schule nicht primär um Wissensvermittlung, weil doch der Computer als wissensspeicherndes Gerät uns von der Last zu wissen erlöst. Dass Herr Popp den Unterschied zwischen einem Datenspeicher und einem wissenden Wesen nicht kennt, ist nur der Beginn seiner Münchhausiade.

Es kommt noch dicker: In der Schule der Zukunft werden die klassischen Unterrichtsfächer „bald auf dem Abstellgleis der Bildungsgeschichte landen“, denn es muss „die interdisziplinäre Auseinandersetzung mit Problemen im Vordergrund stehen“. Merke: Der resolute Zukunftsforscher bediene sich des abgestandenen Gewäschs der Alt-68er, weil das, was innerer Widersprüchlichkeit zufolge nie verwirklicht werden konnte, auf ewig progressiv tönt.

Doch das ist erst der Anfang. Als ausgefuchster Zukunftsforscher umrankt Popp seine Utopie von Schule mit den Begriffen, die wir heute so gern hören, weil sie das Gemüt zauberhaft umgarnen: „Da sind wir dann bei Begriffen wie Autonomie, Eigenverantwortung, Kreativität, Resilienz und soziale Empathie.“

Offenkundig wurde die Interviewerin des „Standards“ von den Wortkaskaden derart betört, dass sie nur mehr die Frage zu stellen wagte: „In welcher Form kann die Schule dafür vorbereiten?“ Die Antwort darauf kam, wie sie kommen musste, wie aus der Pistole geschossen: „Mit klassischem Frontalunterricht kann diese Frage nicht beantwortet werden, schon gar nicht in 50-Minuten-Häppchen. Das ginge (merke: Potentialis!) nur mit projektorientierten Zugängen, ausgehend von wichtigen Fragen aus der Lebenswelt der Kinder und Jugendlichen.“ Kein Klischee ist Herrn Popp zu platt, dass er es nicht aufgriffe.

Dem wackeren Zukunftsforscher Popp halte ich entgegen: Wissen kann man nicht auslagern, Wissen ist wertvoll, Wissen gehört gelehrt. Die Unterrichtsfächer geben Struktur und deren Aufhebung führt ins Chaos. Nur das Wort Frontalunterricht klingt böse, die Sache ist es nicht, wenn man sie als gute Lehrkraft beherrscht.

Kurzum: Der selbst ernannte Schulexperte Popp ist ein professoraler Nebelwerfer. Das Beeindruckende aber ist: Reinhold Popp findet mit melodischem Wortgeklingel ein verzücktes Publikum. Darum sei all jenen geraten, die nicht mehr sind als ein Felix Krull: Nehmen Sie sich an Herrn Popp ein Beispiel! Werden Sie Zukunftsforscher!

E-Mails an: debatte@diepresse.com

Zum Autor:

Rudolf Taschner ist Mathematiker an der TU Wien und betreibt mit seiner Frau und mit Kollegen der TU Wien das Projekt math.space im Wiener Museumsquartier.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.05.2015)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.