Einst Prachtstraße – wer weiß sie heute noch als solche zu nützen?

Eine außerordentliche Ausstellung im Wien-Museum dokumentiert, dass man auch hierorts großzügig zu denken und unbeirrt zu entscheiden verstand.

Am heutigen Tag eröffnet das Wien-Museum seine Ausstellung „Der Ring – Pionierjahre einer Prachtstraße“. Diese fulminant gestaltete und höchst aufschlussreiche Exposition ergänzt die sehenswerten Ausstellungen über die Wiener Ringstraße, der sich unter anderen das Jüdische Museum („Der Ring – ein jüdischer Boulevard“), die Österreichische Nationalbibliothek („Die Ringstraße und ihre Zeit“) und in Kürze das Untere Belvedere („Klimt und die Ringstraße“) widmen – gleichsam als ein Eckstein, als ein das Konzept der Ringstraße tragender Stein.

Denn die Achse, um die sich die Ausstellung im Wien-Museum dreht, bilden jene siebeneinhalb Jahre, die vom kaiserlichen Handschreiben vom 20. Dezember 1857 zur geplanten Stadterweiterung bis zur feierlichen Eröffnung der damals vielerorts noch im Bau befindlichen, aber an markanten Stellen bereits das neue Gesicht der Stadt zeigenden Ringstraße am 1. Mai 1865 reichen.

Seit dem Mittelalter kannte man fast bis zum 19. Jahrhundert in Kontinentaleuropa nur zwei echte Metropolen: Paris und Wien. Während Paris sich auf der ?le de France großflächig ausbreiten konnte, war die Wiener Innenstadt räumlich gedrängt und von den Vorstädten durch das Glacis getrennt. Der von Napoleon III. veranlassten Umgestaltung von Paris durch Georges-Eugène Haussmann folgte wenige Jahre später der städtebaulich weitaus gewagtere Plan, die mittelalterliche Enge Wiens zu sprengen und die Reichshaupt- und Residenzstadt in eine Metropole neuen Zuschnitts zu verwandeln.

Die Ausstellung im Wien-Museum besticht mit einem reichen Schatz von Exponaten, die meisten davon aus dem Haus selbst, die dokumentieren, wie dieser Plan verwirklicht werden sollte. Es ist eine Fülle von Plänen, Karten, Bildern, Bauelementen und vielem anderen mehr, deren Anordnung im dazu wie gegossen passenden Ausstellungssaal vom Kurator Andreas Nierhaus und seinem Team so zwingend und raffiniert gestaltet wurde, dass man sie nie als Überfülle empfindet. Wenigstens zwei Gedanken drängen sich auf, wenn man die Ausstellung des Wien-Museums auf sich wirken lässt: Erstens ist es bemerkenswert, mit welcher Weitsicht und welcher Entschlossenheit dieses Projekt in Angriff genommen wurde.

Die politische Lage des Staates war nach der peinlichen Haltung im Krimkrieg und den schrecklichen Schlachten in Magenta und Solferino alles andere als gefestigt, die Zeichen des drohenden Verfalls standen an der Wand. All dessen zum Trotz gestattete man sich eine einzigartige Generosität bei den Planungen dieses vom Staat getragenen Projekts, das in größter Distanz zu Begehrlichkeiten der Tagespolitik und lokalen Befindlichkeiten umgesetzt werden konnte. Im Vergleich zur Gegenwart wird einem schmerzlich bewusst, dass heute Fantasie oder Mut fehlen, ähnlich großzügig zu denken und unbeirrt zu entscheiden.

Zweitens, und damit zusammenhängend, verspürt man im Vergleich zur Zeit von vor 150 Jahren, aller wunderbaren Errungenschaften der Technik und aller Fortschritte im Sozialwesen zum Trotz, einen Verlust an Stil, einen Mangel an Weltläufigkeit, ein Defizit an Geschmack. Allein der Blick auf den grässlich kaputt verformten Schwarzenbergplatz am Ring veranschaulicht dieses Manko.

Es mag auch damit zu tun haben, dass nur mehr wenige etwas vom Savoir-vivre in der Stadt verstehen: Wo einst an fast jeder Ecke der Ringstraße elegante Kaffeehäuser für Belebung sorgten, gibt es heute, so schreibt Museumsdirektor Wolfgang Kos in seinem Vorwort zum Katalog, gerade noch drei namhafte Ringstraßen-Cafés.

Mit seichtest inszenierten Events – seien sie auch noch so lautstark untermalt und „schräg“ gestaltet – ist dem Flair, das der Ringstraße eigen ist, nicht gedient. Dafür eignen sich Orte wie der Prater oder die Donauinsel allemal besser. Dem Ring gebührt eine andere Ars vivendi. Zumindest das lehrt die Ausstellung im Wien-Museum.

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Zum Autor

Rudolf Taschner ist Mathematiker an der TU Wien und betreibt mit seiner Frau und mit Kollegen der TU Wien das Projekt math.space im Wiener Museumsquartier.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.06.2015)

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