Ein düsteres Bild der Uni Wien, das eine Ergänzung verlangt

Mag sie auch von Kleingeistern durchsetzt und zuweilen auch beherrscht gewesen sein, verstand sie doch Gelehrtenpersönlichkeiten von Rang hervorzubringen.

Das Gedächtnis ist eine der eigentümlichsten Fähigkeiten des Menschen. Ereignisse, die nur ein paar Tage zurückliegen, versinken im Dunkel des Vergessens, Geschehnisse, die Jahrzehnte zurückliegen, bleiben in Erinnerung, als ob sie in Stein gemeißelt wären. So sind der Respekt als angehender Student vor der Universität Wien und der Eindruck der ersten Vorlesungsstunden, die ich mit gespannter Aufmerksamkeit verfolgte, für mich unvergesslich.

Ebenso erinnere ich mich, wie ich 15Jahre später in dem Erinnerungsbuch des damaligen Altkanzlers Bruno Kreisky las, welch schrecklichen Eindruck ganz im Gegensatz zu meinen damals naiven Vorstellungen und Illusionen die Universität Wien um 1930 bei ihm hinterließ: „Das österreichische Universitätsleben jener Jahre hatte nichts, aber auch gar nichts von dem legendären Gaudeamus igitur. Es war schlicht und einfach eine Hölle.“

Dieser Tage erschien Klaus Taschwers Buch „Hochburg des Antisemitismus“, das, wie sein Untertitel ankündigt, den „Niedergang der Universität Wien im 20.Jahrhundert“ facettenreich schildert. Es ist ein Buch, in dem Kreiskys harsches Urteil vielfach mit traurigen Fakten belegt wird, in dem ein düsteres Bild von Kleingeistern gezeichnet wird, die sich in einem nach der Katastrophe des Ersten Weltkriegs irrlichternden Land mit raffinierten Intrigen ihre Posten sicherten; die keinen sie Überragenden und daher sie auch Gefährdenden hochkommen ließen; die ihr Fähnlein nach dem Wind der gerade herrschenden oder der hochkommenden Ideologien ausrichteten; die bestenfalls Techniker des Wissens waren – manche von ihnen nicht einmal das – und die nicht im Mindesten die Charakterzüge von Gelehrtenpersönlichkeiten erahnen ließen.

Klaus Taschwer belegt eindrucksvoll, wie diese Kleingeister für Jahrzehnte an der Universität Wien die Oberhand gewannen. Wobei anzumerken ist, dass solche Leute zu jeder Zeit und an allen Hochschulen und Akademien anzutreffen sind. Die guten Universitäten entledigen sich jedoch der Kleingeister oder lassen diese nicht hochkommen. Doch dazu muss wohl ein geeignetes gesellschaftliches Umfeld vorhanden sein, das nach 1918 in dem, wie ihn Hellmut Andics nannte, Staat, den keiner wollte, schlicht nicht gegeben war.

Umgekehrt war die Universität Wien selbst in ihren dunkelsten Tagen sicher nicht zur Gänze der Geistlosigkeit preisgegeben. Sonst wäre es nicht möglich gewesen, dass bereits in den Apriltagen 1945 der frischgebackene Doktor Kurt Schubert, der mitten im Krieg am Institut für altorientalische Philologie der Universität Wien sein Hebräisch-Studium abschloss, seine Alma Mater Rudolphina wieder eröffnete.

Das Buch von Klaus Taschwer, der aller akribischer Recherche zum Trotz zuweilen mit kräftigem Pinselstrich schwarz-weiß malt und vieles sehr pauschal mit dem ahistorischen Begriff „schwarz-braun“ punziert, verlangt nach einer Ergänzung, die das geistige Umfeld an der Universität Wien beschreibt, das Persönlichkeiten wie Kurt Schubert und dessen Kommilitonen und Mitstreiter Hans Tuppy oder meine akademischen Lehrer wie Edmund Hlawka, Walter Thirring, Kurt Komarek zu prägen vermochte.

Es muss dieses dem Ideal einer Universität adäquate geistige Umfeld gegeben haben. Denn anders ist es nicht erklärlich, dass bei der 600-Jahr-Feier der Wiener Universität im Jahr 1965 abseits von den pompösen Auftritten der Talarträger die Studentinnen und Studenten ein Symposium zu veranstalten verstanden, das seinesgleichen sucht.

Die bedeutendsten deutschsprachigen Intellektuellen der damaligen Zeit – unter ihnen Rudolf Augstein, Ingeborg Bachmann, Ernst Bloch, Golo Mann, Johann Baptist Metz oder Manès Sperber – nahmen daran teil. Natürlich stellten sie Schreiberseelen, die sich für große Professoren hielten, in den Schatten. Doch eben, dass dies so erfolgen konnte, zeichnet die Universität Wien aus.

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Zum Autor:

Rudolf Taschner
ist Mathematiker an der TU Wien und betreibt mit seiner Frau und mit Kollegen der TU Wien das Projekt math.space im Wiener Museumsquartier.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.06.2015)

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