Aus der Liste der fast verloren gegangenen Begriffe: Manieren

Die Linke lässig in der Hosentasche verharren lassend, die Rechte zum kühlen Gruß gereicht – kein Zeichen von Herzensbildung, keine Voraussetzung für Respekt.

Drei soignierte Herren sitzen an einem Tisch im Schanigarten des schönen Ringstraßencafés Landtmann, das sich in unmittelbarer Nähe des Burgtheaters befindet. An ihnen vorbei flanieren Matthias Strolz, Chef der Neos, und der von ihm nach Wien eingeladene FDP-Vorsitzende, Christian Lindner. Strolz kennt offensichtlich die drei Herren – zumindest vom Sehen, man begrüßt einander.

Die Vorstellung des deutschen Gastes durch Strolz geht ein wenig holprig vonstatten – und dieser lässt sich flapsig herab, ein paar Worte zu murmeln und reicht auffällig desinteressiert, die linke Hand ostentativ in der Hosentasche verharren lassend, den dreien die Rechte zum kühlen Gruß. Natürlich: Keiner der drei wird die Gelegenheit haben, ihm bei den bundesdeutschen Wahlen die Stimme geben zu können. Weshalb, so sein pampiges Kalkül, sollte er ihnen höflich begegnen? Das ist eine Anstrengung, die zu erbringen ihm nicht wert ist.

So unbedeutend und belanglos diese kleine Szene sein mag, so entlarvend ist sie. Denn viele Zeitgenossen betrachten, wie Herr Lindner, Manieren, höflichen Umgang mit anderen, als unnötig gewordenen Aufwand. Schon das Wort Höflichkeit klingt verdächtig. Steckt in ihm doch das Wort Hof, das an längst vergangene monarchische Zeiten erinnert. Wobei es nicht ein königlicher oder kaiserlicher Hof war, dem die Höflichkeit, so wie man sie lang in Europa verstanden hat, ihr Wesen verdankt, sondern der Hof der Päpste während ihrer „babylonischen Gefangenschaft“ in Avignon.

Dort entstand nicht nur der Frühhumanismus. Es bildeten sich auch angesichts der dort residierenden Damen, die eine privilegierte Stellung genossen, im ergebenen Verhalten ihnen gegenüber Courtoisie und Etikette heraus.

Das alles ist längst vorbei. Die radikalen Vorreiter egalitärer Gesellschaften betrachten Manieren gar als eine Art stillen Skandal, weil sie gegen das heilige Gebot der Gleichheit verstoßen. Man sucht zwar Ersatz, ja sogar Besseres als scheinbar inhaltsleere Umgangsformen. Und findet es im Wort Anstand, worüber in dieser Zeitung Ende Juni Thomas Kramar einen luziden Artikel verfasst hat.

Im Gegensatz zu dem, was man gemeinhin mit Manieren verbindet, scheint das sogenannte anständige Verhalten moralischen Tiefgang zu besitzen – aber welche Moral liegt ihm zugrunde? Da gilt es, Regelwerke zu erstellen, die schließlich in Listen münden, die mit „Compliance“ überschrieben werden und die ein Compliance-Officer – wie martialisch allein diese Berufsbezeichnung klingt! – peinlich genau überprüft. Doch am Ende des Tages hat nichts mehr mit dem anderen etwas zu tun: Manieren nichts mit Anstand, Anstand nichts mit Compliance und Compliance nichts mit Manieren.

Zugegeben, auch der unanständige Geselle Mephistopheles kann vollendete Manieren besitzen. Ist dies der Fall, mag er zwar gefährlich bleiben, aber der Umgang mit ihm verläuft dennoch in gesitteter Weise. Das ist ein nicht zu unterschätzender Vorteil des gesellschaftlichen Miteinanders.

Wobei im Gegensatz zu den absurden Compliance-Regeln, die sich hoffentlich bald als kurzlebiges Zeitgeistphänomen entpuppen werden, Manieren kaum etwas mit einer blinden Befolgung von Regeln zu tun haben. Nur Einfältige lernen Manieren aus einem Benimmbuch wie Vokabel einer fremden Sprache.

In Wahrheit sind Manieren die sich wie von selbst ergebenden Zeichen einer Herzensbildung – so versteht sie Asfa-Wossen Asserate, der ein überaus schönes Buch über Manieren geschrieben hat. Doch statt Manieren das Wort zu reden, sprechen die dem Zeitgeist Ergebenen lieber von „respektvollem Umgang“.

Was indes Respekt bedeutet, kümmert jene wenig, die sich Deutungshoheit verschaffen wollen. Denn sie wissen nicht, dass für wohlverstandenen Respekt Manieren zwar nicht die hinreichenden, aber doch die notwendigen Voraussetzungen sind.

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("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.07.2015)

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