Frankreichs Bildungsministerin im Kampf gegen den „Elitarismus“

Am besten glaubt Najat Vallaud-Belkacem dem Imperativ der Gleichheit zu gehorchen, wenn es in der Schule keinerlei Ansprüche mehr gibt.

Dieser Tage begann in den östlichen Bundesländern die Schule, nächste Woche startet sie in den westlichen Bundesländern. In Frankreich sind die Schultore bereits seit vergangener Woche wieder geöffnet. Mit, wie der Pariser Kulturkorrespondent der „FAZ“, Jürg Altwegg, schrieb, einem von oben verordneten Elan: „Ministerin Najat Vallaud-Belkacem hat für das neue Schuljahr zum ,Kampf gegen die Langeweile‘ aufgerufen.“

Hinter dieser wohlklingenden, aber hohlen Phrase verbirgt sich eine von der jungen und energischen Bildungsministerin eisern geforderte Ideologisierung des Bildungsbetriebs, geprägt von im akademischen Wolkenkuckucksheim hausenden Pädagogikern (ich nenne sie so, weil sie alles andere sind als aus Erfahrung gereifte Pädagogen), die stur jenen Theorien huldigen, „die“, so schreibt Altwegg, „aus den Siebzigerjahren stammen und zu Dogmen wurden. Die ,fortschrittlichen Methoden‘ werden mit dem Imperativ der Gleichheit begründet. Doch sie bewirken das Gegenteil: Der Graben zwischen guten und schlechten Schülern wird tiefer, die soziale Ungleichheit wird größer.“

Da nicht sein kann, was nicht sein darf, verschärft Najat Vallaud-Belkacem ihr Programm für das „Collège unique“ und gegen den „Elitarismus“: Die Klassen für begabtere und fleißigere Schüler werden aufgelöst und mit ihnen weitgehend auch der Unterricht in Latein und Griechisch. Ähnlich stark ist der Deutschunterricht betroffen. Trotz diplomatischer Auseinandersetzungen mit Berlin will die Ministerin seine Abschaffung durchziehen. Denn das Deutschangebot sei „zu elitär“. Es würde „nur von wohlhabenden Familien“ genutzt und verstärke damit die „soziale Segregation“.

Damit hat die patente Ministerin scheinbar den Stein der Weisen gefunden: Am besten, so dürfte sie glauben, gehorcht man dem Imperativ der Gleichheit, indem man keinerlei Ansprüche hat. Wozu auch? Eine fremde Sprache zu lernen verspricht in den Augen der Ministerin keinerlei Nutzen, da in Zukunft doch alle auf dem Nullniveau eines BSE, eines Bad Simple English, kriechen werden. Genug, um sich im Leben zurechtfinden zu können. Zu wenig für den Genuss schöner Literatur, gar von Gedichten. Aber das ist ohnehin alles überflüssiger Plunder.

Vorbei sind die Zeiten, als genau das Gegenteil zur Parole erhoben wurde: „Was wir erhoffen von der Zukunft fernen, und was vom Schicksal wir erflehn: Dass unsre Kinder in der Schule lernen“, so klang der Wunsch einer fortschrittlichen Gesinnungsgemeinschaft. Es kann, so war man damals überzeugt, gar nicht genug gelernt, es können gar nicht genug Interessen geweckt werden.

Man glaubte an Bacons „Wissen ist Macht“ und hoffte, in der Vermittlung des Wissens an Ohnmächtige die Macht der wenigen Privilegierten zu brechen, die sie ohne geringste Leistung von ihren Vorfahren erbten. Es war die Ära der Volkshochschulen, wo Sonette so viel zählten wie die Unendlichkeit der Primzahlen oder das Leuchten der Sterne, die das angeblich Nützliche überstrahlten und veredelten. Noch heute vermittelt das Planetarium Ahnungen an diese goldene Zeit.

Groß ist die Gefahr, dass sie nicht nur an Frankreichs, sondern auch an Österreichs Schulen dem Vergessen anheimfällt. Weil nicht das Wertvolle, sondern nur das Brauchbare als Lehrstoff überleben darf.

Vielleicht aber haben wir Glück und unsere Bildungspolitiker tappen nicht in die Falle, in der sich Vallaud-Belkacem befindet, die ein gehaltvolles Fach wie die Fremdsprache Deutsch verbannt und stattdessen die Fächer Laizismus und Moral propagiert. Da ist es nur gut, kein Deutsch zu können. Denn sonst würden die Schüler erkennen, wie Nietzsche in „Zur Genealogie der Moral“ über das Schulfach Moral dachte: Er entlarvte es als Farce. Selbst eine gute Übersetzung ins Französische wäre zu elitär, und in BSE kann es sie gar nicht geben. Überhaupt: Nietzsche! Wie nutzlos!

E-Mails an: debatte@diepresse.com

Zum Autor:

Rudolf Taschner
ist Mathematiker

an der TU Wien und betreibt mit seiner Frau und mit Kollegen der TU Wien das Projekt math.space im Wiener
Museumsquartier. Sein neuestes Buch: „Die Mathematik des Daseins. Eine kurze Geschichte der
Spieltheorie“
(Hanser Verlag).

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.09.2015)

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