Warum demnächst der Blutmond wieder so dämonisch leuchten wird

Das Gegenwort zu Kosmos, der griechischen Bezeichnung für Ordnung, lautet Chaos. Das erleben wir nicht im Himmel, sondern auf Erden.

Nächsten Montag gilt es, wolkenloses Wetter vorausgesetzt, sehr früh aufzustehen und von einem geeigneten Aussichtspunkt aus den Himmel gegen Westen zu beobachten. Knapp nach 2.48 Uhr beginnt der Erdschatten den hell leuchtenden Vollmond zu berühren. Um 3.07 Uhr gerät der Mond in den Kernschatten der Erde.

Rund eine Stunde später ist die Mondscheibe voll in den Erdschatten eingetaucht. Sie bleibt dort in einem geisterhaft roten Licht (wegen der Brechung des Sonnenlichts an der Erdatmosphäre ist es nämlich selbst im Kernschatten nicht ganz dunkel) als sogenannter Blutmond bis 5.23 Uhr sichtbar.

Mindestens drei Gedanken sollte man im Zuge der Betrachtung dieses Schauspiels am Himmel erwägen: Erstens ist die Präzision zu bewundern, mit der Astronomen solche Ereignisse voraussagen können. Würden die Ebenen der Mondbahn um die Erde und der Erdbahn um die Sonne zusammenfallen, ereignete sich bei jedem Vollmond eine Mondfinsternis (und bei jedem Neumond eine Sonnenfinsternis).

Da jedoch diese beiden Ebenen einander in einem Winkel von rund fünf Grad schneiden, läuft meistens der Vollmond unter- oder oberhalb des von der Sonne über die Erde hinausreichenden Strahls und somit am Erdschatten vorbei. Nur in der Ausnahmelage, dass dieser Strahl mit der Schnittgeraden der beiden Bahnebenen zusammenfällt, kommt es zu Finsternissen. Schon den Astronomen des alten Babylon war dies bewusst, und sie verstanden, diese Bewegungsabläufe mit Rechnungen zu erfassen. Der Himmel befolgt sie präzise. Darum nennen ihn die Griechen den Kosmos. Denn Kosmos bedeutet Ordnung. Das Gegenwort lautet Chaos. Das erleben wir nicht im Himmel, sondern auf Erden.

Zweitens ist die Größe des Erdtrabanten bemerkenswert, der bei einer Mondfinsternis als Projektionsfläche des Erdschattens dient. Der Blutmond leuchtet ja nur deshalb so dämonisch, weil ihn unsere Erde so bestrahlt, die ihrerseits das strahlende Licht von der Sonne erhält. Wir sehen bei einer Mondfinsternis eher uns selbst als den Mond.

Noch deutlicher wird diese Tatsache bei einer partiellen Mondfinsternis, bei der im Unterschied zur totalen Finsternis des kommenden Montags nur ein Teil der sichtbaren Mondoberfläche vom Erdschatten bedeckt wird. Der gekrümmte Rand dieses Schattens war für Aristoteles der untrügliche Beweis dafür, dass die Erde eine Kugel ist. Denn nur die Kugel wirft in allen Projektionsrichtungen einen kreisförmigen Schatten.

Drittens ist zu bedenken, dass in unserem Sonnensystem nur unser Planet einen im Vergleich zu seinen Dimensionen so großen Mond als Begleiter besitzt. Die Monde der anderen Planeten sind winzig, so groß wie Kirschkerne, wenn der Planet ein Kürbis ist. Eigentlich ist das System von Erde und Mond ein Doppelplanet. Sein Anblick von einem auf dem Mars errichteten Teleskop – ein blau und ein silbrig strahlendes Sternenpaar – wäre großartig.

Viele Indizien sprechen dafür, dass ein außerordentlich seltenes kosmisches Ereignis, ein gewaltiger Zusammenstoß der jungen Erde mit einem sich in ihre Bahn verirrten Himmelskörper, in der frühen Geschichte des Sonnensystems die Entstehung des Monds bewirkt hat. Andere ebenso gewichtige Indizien sprechen dafür, dass wir es dem großen Mond mit seiner stabilisierenden Wirkung auf die Erdbewegung zu verdanken haben, dass die Erde für Jahrmilliarden als Bühne der Evolution des Lebens zu dienen vermag.

Wenn dies stimmt, wofür viel spricht, ist es wohl allein unser winzig kleiner Fleck in dem riesigen Universum, wo sich denkende und fühlende Wesen befinden. Dieser Gedanke erinnert an den Türhüter in Kafkas Parabel „Vor dem Gesetz“. Ihn paraphrasierend könnte man ihm die folgenden Worte, an uns Sinnsuchende gerichtet, in den Mund legen: „Das ganze Universum mit seinen Myriaden von Gestirnen ist allein für dich geschaffen.“

E-Mails an: debatte@diepresse.com

Zum Autor:

Rudolf Taschner
ist Mathematiker

an der TU Wien und betreibt mit seiner Frau und Kollegen der TU Wien das Projekt math.space im Wiener
Museumsquartier. Sein neuestes Buch: „Die Mathematik des Daseins. Eine kurze Geschichte der
Spieltheorie“
(Hanser-Verlag).

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.09.2015)

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