Warum in der Politik gerade die Außenseiter auf Erfolgskurs sind

Bernie Sanders wird vom demokratischen Establishment – „Eschtäblischment“ spricht er es aus – verachtet. Aber genau darum mögen ihn seine Wähler.

Zwei Entscheidungen an der Wahlurne können in diesem Jahr 2016 tiefgreifende Konsequenzen nach sich ziehen: in den Vereinigten Staaten bei der Wahl des künftigen Präsidenten und in Großbritannien beim Votum, ob das Land die Europäische Union verlassen soll oder nicht. Gemessen daran spielt im kleinen Österreich die Wahl des Bundespräsidenten, dem die Verfassung im Vergleich zum französischen oder amerikanischen Pendant eine nur kleine Macht zuerkennt, kaum eine Rolle.

Selbst wenn – ausgeschlossen ist es nach den Ereignissen der letzten Tage nicht – in diesem Jahr der Nationalrat gewählt werden sollte, ist auch dieser Urnengang kaum weltpolitisch relevant. Dennoch prägt eine eigentümliche Stimmung in der jeweiligen Bevölkerung alle diese Wahlen, seien sie weltbewegend oder nicht: Man will dem im Althergebrachten erstarrten Establishment keine Zukunft mehr gönnen.

So gesehen hat Martin Engelberg in seinem letzten „Quergeschrieben“ recht, wenn er jene, die Norbert Hofer als rückwärtsgewandten Radikalen verdammen, der Lächerlichkeit preisgibt. Und es stimmt, dass sie mit den von unzähligen sinnlosen Einsätzen zuvor bereits stumpf und morsch gewordenen Waffen nichts mehr erreichen werden. Zwar „ist zu vermuten, dass Hofer der Mehrheit der Wähler ebenso suspekt ist wie Alexander Van der Bellen. Aber Hofer steht für Veränderung, für ein Aufbrechen verkrusteter Strukturen“. Er bedient die Ablehnung des Etablierten, von der oben die Rede ist.

Im Übrigen schaden jene, die Hofer mit ihrem Alarmgeschrei dämonisieren, unverantwortlich dem Staat. Aller Bedenken, die man hegen mag, zum Trotz sind beide Anwärter für das Amt präsidiabel. Daher verdient jeder von ihnen schon im Vorfeld der Wahl Achtung und Respekt auch von denen, die gegen ihn votieren werden. Das ist man nicht nur der Person, sondern auch dem Amt und dem Land schuldig.

Im Gegensatz dazu bezweifeln einige maßgebende amerikanische Meinungsträger, obwohl ihnen das Ansehen der Vereinigten Staaten ein Herzensanliegen ist, ob Donald Trump ein für das Amt des Präsidenten ihres Landes und Führers des freien Westens geeigneter Kandidat sei. Charles Krauthammer, ein konservativer Publizist und Erfinder der „Reagan-Doktrin“ von 1985, stets ein verlässlicher Unterstützer der Grand Old Party, bekannte auf Fox News, dass er nicht in der Lage sei, Trump zu wählen. Er fürchte sich davor, diese irrlichternde Persönlichkeit mit der Macht ausgestattet zu sehen, den roten Knopf zum Auslösen von Kernwaffen zu drücken.

Mag sein, dass Krauthammer übertreibt. Außerdem sind wegen der amerikanischen Tradition der Checks and Balances selbst einem Präsidenten Trump die Hände so sehr gebunden, dass die Gefahr einer Willkürherrschaft von seiner Seite gering ist. Doch viel interessanter ist, warum Trump überhaupt die Stellung eines ernsthaft wählbaren Kandidaten erklimmen konnte. Genauso wie man verblüfft den bemerkenswerten Erfolg von Bernie Sanders verfolgt, dem zuvor nicht einmal Außenseiterchancen zugebilligt wurden.

Ein triftiger Grund dürfte die Enttäuschung sein, dass nach acht Jahren Obama dieser einstige Hoffnungsträger an vielen Fronten, vor allem aber in der Außenpolitik, außer ein paar Scheinerfolgen wenig Bleibendes geschaffen hat und viel Chaos zurücklässt. Wenn, was wahrscheinlich, aber nicht sicher ist, Hillary Clinton siegreich aus der Wahl hervorgeht, wird sich die Begeisterung vieler Amerikaner in Grenzen halten. Sie steht für „more of the same“. Trump und Sanders stehen, bei aller Differenz, für den Aufbruch – wobei, was besonders eigenartig ist, keiner genau weiß, wohin.

Ähnlich wie viele Briten, die für den Austritt ihres Landes aus der EU votieren, nicht ahnen, in welche Richtung sie damit ihr Land und die von ihm amputierte Union treiben werden. Doch weg wollen sie – weg von dem im Althergebrachten erstarrten Establishment.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

Zum Autor:

Rudolf Taschner ist Mathematiker an der TU Wien und betreibt mit seiner Frau und Kollegen
der TU Wien das Projekt math.space im Wiener
Museumsquartier.

(Print-Ausgabe, 12.05.2016)

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