Über Donald Duck, von dem H. C. Artmann behauptete, er sei „der einzige Mensch, der es heutzutage noch versteht, ordentlich die Welt zu besehen“.
In diesem letzten Artikel meiner kleinen, für die Sommerferien gedachten Serie denke ich an den Beginn meiner eigenen Schulzeit zurück, die ich nicht in schlechter Erinnerung habe – mit der Ausnahme eines Verdikts seitens meiner Lehrer, das ich nicht verstehen wollte: Noch vor meiner Volksschulzeit, es war am Ende der 1950er-Jahre, brachte mir mein Vater ein Heft voll mit bunten Bildern und Sprechblasen – die Texte musste er mir anfangs noch vorlesen, aber dann setzte ich meinen kindlichen Ehrgeiz darin, sie selbstständig lesen zu können. Es war Woche für Woche ein farbenfroher Gegensatz zu einer damals grauen, düsteren, provinziellen Welt. Die Hefte erzählten Geschichten von dem vermenschlichten Enterich Donald Duck und seiner Entenhausener Entourage. Vor allem diejenigen, die vom „guten Zeichner“ gestaltet wurden, las ich mit Begeisterung. Damals wusste ich nicht, dass der für Walt Disney arbeitende Carl Barks der Erfinder all dieser, zum Teil mit erstaunlichem Tiefsinn durchzogenen humorvollen und überdrehten Erzählungen ist.
Für die Schule waren diese Hefte der leibhaftige Gottseibeiuns. „Schmutz und Schund“, mit diesem Wort wurden sie in den Orkus verbannt. Erst viel später begriff ich, dass mein Vater mir mit dem Einlass nach Entenhausen, der liebevollen Persiflage amerikanischer Lebensart, eine Welt öffnete, die damals hierzulande als verderblich galt. Wenn die von Blut-und-Boden-Propaganda engstirnig Gewordenen schon mit ihrem Wettern gegen „entartete Kunst“ und gegen „Negermusik“ keinen Erfolg hatten, wollten sie wenigstens den Carl-Barks-Geschichten den Garaus machen. Doch mich focht das nicht an.
„Anfechten“, das ist ein Wort der gehobenen Sprache. Mir als Volksschulkind war es aus Donalds Schnabel geläufig. Denn die Texte der Carl-Barks-Geschichten wurden von Erika Fuchs mit subtilstem Sprachwitz übertragen. Sie war eine Germanistin von Rang, die der Verlag im Impressum bewusst mit ihrem akademischen Grad vorstellte, was jedoch die verstockten Kritikaster kaum beeindruckte. Denn diese erblickten in Amerika immer noch den Feind. Fuchs war, wie Matthias Heine, Feuilletonredakteur der „Welt“, feststellt, „eine Geheimagentin des Wahren, Schönen und Guten. Sie schmuggelte nicht nur dauernd Schiller in die Hefttexte (auch an Stellen, bei denen beim amerikanischen Duck-Zeichner Carl Barks gar keine Shakespeare-Zitate standen). Sondern sie benutzte den Klassikerwortschatz auch ganz selbstverständlich: „,Schnurrli, was ficht dich an?‘, fragt etwa Donald, als sich eine erschrockene Katze auf seinem Kopf festkrallt.“
Oder wenn Diplomingenieur Daniel Düsentrieb (was für ein treffender Name für die Lieblingsfigur von Barks!) Shakespeare zitiert, steht in der Gedankenblase: „Hamlet, erster Akt, sehr gebildet“. Genau dieses Aperçu verwendete die „FAZ“ mehrfach in abgewandelter Form und einmal wortwörtlich sogar als Titel eines ihrer Feuilletonartikel. Und das amerikanische „Ka-Racks!“ beim Zerschmettern eines Eimers voll von Glas übertrug Erika Fuchs in Anlehnung an Wilhelm Busch mit dem wunderbar lautmalenden Wort „Klickeradoms!“
Eines Nestroy würdig ist, wenn Donald seinen reichen Onkel vor einem tätlichen Angriff gegen zwei Raufbolde warnt: „Nein, tu das nicht! Die sind zu zweit, und wir beide sind ganz allein!“ Und als er, wirklich arg vom Pech verfolgt, melancholisch auf Wasserlacken blickt, sinniert er: „Vielleicht, wenn ich mich hier hinsetze und auf die Sumpfhühner starre, die im Sumpf rumsumpfen, vermeide ich allen Ärger.“ Cholerisch aber wird er, wenn er seine Neffen dabei ertappt, ein Buch zu lesen, in dem – 1961 verfasst! – prophetisch das Beamen des Anton Zeilinger vorweggenommen wird. Das sei „für eure geistige Entwicklung einfach Gift“, flucht er und knallt das Buch in den Mistkübel wie einst meine Lehrer die Hefte, die über ihn erzählen.
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Zum Autor:
Rudolf Taschner
ist Mathematiker und Betreiber des math.space im
quartier 21, Museumsquartier Wien.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.09.2016)