„Starke Männer“ ja, aber von purer Machtlust Besessene sind gefährlich

Viermal so viele Österreicher sehnen sich nach dem „starken Mann“ in der Politik wie vor zehn Jahren: Keine Hiobsbotschaft, wenn sie auf dessen Ideale achten.

Bei einer internen Konferenz des Außenministeriums, so wurde vor Kurzem berichtet, hat der Politikwissenschaftler Peter Filzmaier mit einem Befund des Sora-Instituts großes Aufsehen erregt: 2016 sehnen sich, so war zu lesen, viermal so viele Österreicher nach dem „starken Mann“ in der Politik wie vor zehn Jahren. Peter Filzmaier schloss hieraus in Österreich auf eine dramatisch wachsende Demokratiemüdigkeit.

Man kann zu diesem Ergebnis gelangen, muss aber nicht. Denn der Begriff des „starken Mannes“ ist mehrdeutig. Es klingt in unseren Tagen als geradezu abwegig, nach einem politischen „Führer“ zu rufen. Es gilt aber als völlig dem Zeitgeist entsprechend, wenn jemand nach Leadership verlangt. Wiewohl die Wörter Führer und Leader in ihrer Bedeutung deckungsgleich sind, ist das eine mit Ekel, das andere jedoch mit einer Gloriole versehen.

Im Übrigen ist festzuhalten, dass es in Großbritannien, im Mutterland der Demokratie, immer wieder „starke Männer“ gab, die den von ihnen vertretenen Idealen, so gut es ging, zum Durchbruch verhalfen, unbeeindruckt von der Opposition, die es in der Bevölkerung gegen sie gab. Winston Churchill ist das herausragende Beispiel eines solchen „starken Mannes“, ohne den wahrscheinlich Hitler obsiegt hätte.

In einer nicht so dramatischen, aber dennoch beeindruckenden Version ist Margaret Thatcher ein weiteres Beispiel: Sie fühlte sich zuweilen als einziger „Mann“ unter den „Wimps“ in ihrem Kabinett. Sie führte einen Krieg um ein paar aus dem Ozean ragende Felsbrocken, Tausende Kilometer vom Mutterland entfernt. Und Thatcher rettete England ökonomisch. Sie pochte in den Gremien der EG erfolgreich auf Autarkie und Bevorzugung ihres Landes.

Aber beide, Churchill wie Thatcher, waren aufrechte Demokraten: Die vom Parlament in freier Abstimmung erlassenen Gesetze waren ihnen Richtschnur. Kaum waren sie abgewählt, zogen sie sich, wenn auch mit Murren, zurück. „Starke Männer“ solchen Formats fehlen in der Tat. Vielleicht deshalb, weil im westlichen Europa die Ideale verloren gehen, auf denen dieser Kontinent wurzeln sollte. Schon dass man Ideal durch den verfehlten, weil aus der Ökonomie stammenden Begriff, Wert ersetzt, ist Indiz einer Verwirrung.

Als verzopft gilt bereits, wer seine Ideale auf die vom Judentum überlieferte Ebenbildlichkeit aller Menschen mit Gott, die von der Antike überlieferte Staats- und Rechtsidee, beides tradiert vom Christentum und veredelt in der europäischen Aufklärung, gründen will; und als verzopft gilt auch, wer daraus die Tugenden der Freiheit und der Loyalität, der Fairness und der Leistungsfreude herausliest. Das sei schrecklich eurozentriert und rückwärtsgewandt, wird moniert. Wo bleibt denn da das Multikulturelle, das Bunte, das modisch abseitig Schräge? Wer so fragt und auf die alten Ideale pfeift, hoppelt, weil orientierungslos geworden, anderen „starken Männern“ nach, die manifest von Machtlust Besessene sind. Es gibt sie bereits jetzt.

Wenn zum Beispiel ein Regierungschef aus eigener Machtvollkommenheit die Grenzen des ihm anvertrauten Landes so weit öffnet, dass es ihn nicht einmal kümmert, wer die vielen sind, die hereinströmen. Wenn er verhaltener Kritik das Machtwort entgegenschleudert: Wenn er das nicht zulasse, dann wäre dies nicht mehr sein (!) Land. Wenn er sich über die Entwurzelung der Bürger seines Landes mit dem flapsigen Satz äußert: „Wenn Sie mal Aufsätze schreiben lassen, was Pfingsten bedeutet, dann würde ich mal sagen, ist es mit der Kenntnis übers christliche Abendland nicht so weit her.“ Wenn er demgemäß nichts dabei findet, dass Europa der Aufklärung entwöhnt wird. Denn die Ideale des alten Europa sind bereits ad acta gelegt. „Ein bisschen bibelfest zu sein“ ist nämlich zu wenig.

Ein derart „starker Mann“ ist wirklich gefährlich, da hat Peter Filzmaier recht. Selbst wenn er eine Frau ist.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

Zum Autor:

Rudolf Taschner
ist Mathematiker

an der TU Wien und betreibt mit seiner Frau und Kollegen
der TU Wien das Projekt Math.space im Wiener
Museumsquartier.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.09.2016)

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