Die geschichtsträchtigen 17er-Jahre. 1917: Putsch des Menschenhassers

Lenin überschritt den Nullmeridian des Nihilismus. Und es war erstaunlich einfach: Der Beginn der Weltrevolution war in Russland ein Kinderspiel.

Richard Pipes, emeritierter Professor für Geschichte in Harvard und Berater Ronald Reagans, schuf sich mit dem Verfassen eines umfassenden dreibändigen Werks über die Russische Revolution eine Schar erbitterter Feinde. Es sind dies jene Träumer oder politisch Verwirrten, die in der sogenannten Oktoberrevolution und in deren unbestrittenem Anführer Lenin einen Fortschritt der Geschichte oder wenigstens einen Aufbruch der russischen Gesellschaft in eine bessere Ära zu erkennen meinen.

Tatsächlich hält Pipes die Russische Revolution für ein epochales Ereignis des 20. Jahrhunderts. Doch ist sie zugleich eine ebenso epochale Katastrophe mit unfassbaren Auswirkungen nicht allein auf Russland, sondern auf die Weltgeschichte: Das Wüten skrupelloser Massenmörder an der Spitze von Staaten ist von ihr vorgezeichnet worden.

Tatsächlich lässt Pipes an der Person Lenins kein gutes Haar: „Im Unterschied zu typisch russischen Revolutionären, die, wie sein verstorbener Bruder, von idealistischer Begeisterung getrieben wurden, war und bleibt der Hass Lenins vorherrschender Impuls. In diesem emotionalen Boden verwurzelt, war sein Sozialismus von Anfang an vor allem eine Lehre der Zerstörung. Er widmete der zukünftigen Welt wenig Aufmerksamkeit, so beschäftigt waren sein Herz und sein Verstand damit, die Welt der Gegenwart zu zerschlagen.“

Peter Struwe, der den jungen Lenin gut kannte, schrieb über Lenins Hass, er habe Abstoßendes und Furchtbares an sich: „Auch wenn er in ganz unmittelbaren, ich würde sogar sagen: animalischen Gefühlen und Abneigungen verwurzelt war, so war er zugleich jedoch unvermittelt abstrakt und kalt, so wie Lenins ganzes Wesen.“

Trotzki nannte ihn zynisch wie treffend Maximilien Lenin und öffnete ihm Ende Oktober 1917 mit einem brutalen Putsch die Pforte zur Macht. „Niemand außer einer Handvoll Anführer wusste“, schreibt Pipes, „was eigentlich passiert war: dass die Hauptstadt sich im eisernen Griff bewaffneter Bolschewiki befand und dass es niemals mehr so sein würde wie vorher. Lenin sagte später, der Beginn der Weltrevolution in Russland sei so leicht gewesen wie ein Kinderspiel.“ Die Voraussetzungen waren dafür wie geschaffen: Das riesige Reich, vom Krieg gebeutelt, mit gravierenden sozialen Problemen belastet, war nach der Februarrevolution seiner Wurzeln beraubt, ein Spielball wahnwitziger Ideologen.

1917 markiert den Untergang einer Welt in die Hölle der von Lenin geprägten Diktatur. Alle seine Apologeten machen anderen und zum Schluss sich selbst etwas vor, wenn sie nicht erkennen können, dass die Rede vom Neuen Menschen, von der Neuen Ökonomischen Politik und vom sozialistischen Staat für ihn nur Staffage für die Mehrung seiner grausamen Macht bedeutete, reichend vom Meuchelmord an den Zaren und dessen Entourage bis hin zum Roten Terror mit Hekatomben brutal vernichteter unschuldiger Menschen. 1917 überschritt Lenin den Nullmeridian des Nihilismus und war darin bis heute anderen Hasardeuren der Geschichte Vorbild.

Als dieser Tage einer von ihnen, der Unterdrücker und Folterer Fidel Castro, starb, traute man seinen Ohren nicht, in welch devoten Floskeln sich EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker, EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini oder EU-Parlamentspräsident Martin Schulz ergingen: Von einer „historischen Persönlichkeit“ sülzte man, die „für viele ein Held war“.

Einzig der von den gleichen selbstverliebten Repräsentanten der EU mit Misstrauen beäugte Donald Trump sprach Klartext: „Fidel Castro hinterlässt Exekutionskommandos, Plünderung, unermessliches Leid, Armut und die Leugnung fundamentaler Menschenrechte.“ In der EU hingegen scheint man nicht zu verstehen, was es bedeutet, den Nullmeridian des Nihilismus zu überschreiten. Woraus die Gefahr erwächst, dass man es fühlen muss, ohne sich dagegen wehren zu können.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

Zum Autor:

Rudolf Taschner ist Mathematiker an der TU Wien und betreibt zusammen mit Kollegen das Projekt Math.space im Wiener Museumsquartier.

Sein neuestes Buch: „Woran glauben. 10 Angebote für aufgeklärte Menschen“ (Brandstätter Verlag).

(Print-Ausgabe, 29.12.2016)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.