Das Schulfach Digitale Kompetenz gibt es schon: Es heißt Mathematik

Nicht nur die Social Media, die eine unvernünftige Nutzung zu asozialen Werkzeugen verwandelt, ja alles Digitale vermag die Mathematik zu entmythologisieren.

Kaum tauchen gesellschaftspolitische Probleme auf, ist die Schule gefordert. Das Schlagwort, das auf das Problem gemünzt ist, wird flugs zu einem neuen Schulfach erklärt, sodass ein schier unerschöpfliches Desiderat neuer Schulfächer entsteht – vom Verkehrsunterricht bis hin zur richtigen Ernährung. „Schach und Reiten gibt es schon; sogar ,Glück‘ wird unterrichtet“, schrieb vor Kurzem Lisa Becker in dem Artikel „Welche Fächer gehören in die Schule?“ in der „FAZ“ und fragt zu Recht: „Wie sinnvoll ist das alles?“

Tatsächlich halte ich es für puren Mumpitz, ein Schulfach Glück unterrichten zu wollen. Wenn man unter dieser so betitelten Disziplin versteht zu lernen, wie Leben gelingen oder auch misslingen kann, wird dies nämlich ohnedies schon längst von der guten, alten Schule abgedeckt: beim privaten Leben im – nicht missionierenden, sondern aufklärenden (!) – Religionsunterricht und beim öffentlichen Leben im Schulfach Geschichte.

Nun war vor zwei Tagen in der „Presse“ zu lesen, dass das Bildungsministerium an einem Konzept zum digitalen Lernen arbeite und Bildungsministerin Sonja Hammerschmid „digitale Kompetenzen“ eventuell sogar in einem eigenen Unterrichtsfach unterrichten lassen will. Sie hat natürlich recht: Das Thema ist wichtig und digitale Kompetenzen werden in Zukunft eine größere Rolle spielen. Allerdings erlaube ich mir den Vorschlag zu unterbreiten, dieses Desiderat an digitaler Kompetenz in einem Schulfach unterzubringen, das es bereits gibt, und das genau diese Kompetenzen zu vermitteln hätte: die Mathematik.

Denn Digits sind nichts anderes als Ziffern, die Bauelemente der Zahlen, den Objekten, mit denen sich die Mathematik von ihrem Beginn an auseinandersetzt. Drei wesentliche Aspekte wären beim Unterrichten von digitalen Kompetenzen zu behandeln.

Erstens das Verständnis, worum es sich bei einem digitalen Gerät – beginnend beim Smartphone und endend beim selbstfahrenden Auto – im Prinzip handelt: um eine simple Rechenmaschine. Sie besteht aus nichts anderem als aus Schaltern, die nur zwei Zustände, nämlich null oder eins, einnehmen können und raffiniert verdrahtet sind. Die Entmythologisierung einer Maschine, die vom unbedarften Laien wie ein Dämon empfunden wird, ist von zentraler Bedeutung.

Zweitens die Einschätzung des Wertes eines digitalen Geräts. Von seinem Inhalt her ist es, sobald man das Geheimnis seines Innenlebens gelüftet hat, nämlich wertlos. Denn man kann es beliebig oft kopieren. Wie man auch keine Primzahl verkaufen kann, wenn bekannt ist, dass es sich hierbei um eine Primzahl handelt. (Geheim gehaltene große Primzahlen werden hingegen zu hohen Preisen gehandelt.) Eigentlich kauft man beim digitalen Gerät nur das Design – eine verführerische Möglichkeit, Mathematik mit dem Kunstunterricht zu verbinden.

Drittens die Verwendung eines digitalen Geräts, das es gilt zu beherrschen, will sagen: souverän darüber zu verfügen und sich ihm nicht zu unterwerfen.

Die Macht des Computers und die Ohnmacht der Vernunft“, so betitelte Joseph Weizenbaum sein prophetisches Werk zu einer Zeit, als es noch keine Social Media gab, die sich bei unvernünftiger Nutzung zu asozialen Werkzeugen verwandeln. Die Mathematik kennt die Macht, aber auch die Grenzen der digitalen Nutzung – und nur wenn der Mensch sich außerhalb dieser Grenzen bewegt, ist er wirklich frei.

Schon in den Volksschulen, wenn die Kinder das Einmaleins lernen, erfahren sie, worin der Unterschied besteht, an ein Ergebnis einer Rechnung bloß zu glauben oder zu verstehen, wie man zu diesem Ergebnis gelangt. „Ich kann es selbst“ – mit diesem stolzen Wort befreit sich die Vernunft von der Verführung auf dem Display. Es mag die Mathematik nicht das einzige Schulfach sein, das zur klugen Kritik befähigt, doch einen wesentlichen Beitrag könnte sie leisten.

E-Mails an:debatte@diepresse.comZum Autor:

Rudolf Taschner
ist Mathematiker

an der TU Wien und betreibt zusammen mit Kollegen das Projekt Math.space im Wiener
Museumsquartier.

Sein neuestes Buch: „Woran glauben. 10 Angebote für aufgeklärte Menschen“ (Brandstätter Verlag).

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.01.2017)

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