"Wer nur Pflichtschulabschluss hat, für den gibt es keinen Job mehr"

Schon aus demografischen Gründen ist es für Österreich wichtig, dass sich alle Pflichtschulabsolventen um eine gute berufliche Ausbildung bemühen.

Wichtiges Thema war die Arbeitsmarktpolitik, las man im Zeitungsbericht über die jüngst abgehaltene zweitägige Vorstandstagung der SPÖ, die der Wiener Bürgermeister, Michael Häupl, leitete. Vor allem habe man über Projekte und Programme für junge Menschen geredet. „Wer heute nur einen Pflichtschulabschluss hat, für den gibt es keinen Job mehr.“

Dieser zuletzt zitierte Satz weist in seiner für einen Politiker unerwarteten Klarheit auf ein schwelendes Problem hin, dem sich zu stellen und es zu lösen zu versuchen unbedingt nottut. In viele der math.space-Vorträge, die ich für Schülerinnen und Schüler halte, kommen dritte und vierte Klassen aus Neuen Mittelschulen. Ich versuche eindringlich den jungen Zuhörerinnen und Zuhörern zu verdeutlichen, dass mit dem Ende ihrer Schulzeit, in ihrem Fall dem Ende ihrer Pflichtschulzeit, der Ernst des Lebens beginnt.

Niemand wartet danach auf sie. Sie werden sich selbst darum bemühen müssen, mit dem Wissen und Können, das sie in der Schule erworben haben, an ihrer weiteren Karriere zu arbeiten.

Obwohl es sich dabei um eine banale Selbstverständlichkeit handelt, trifft es offenkundig – und ich gestehe, dass mich dies sehr freut – viele von den jungen Leuten ins Mark, wenn sie diesen Exkurs, der auf die Zukunft jedes Einzelnen unter ihnen zielt, hören. Ein Exkurs, nahtlos im gedanklichen Duktus eingebaut, mitten in einem Vortrag über die mathematischen Leistungen des Archimedes, über die Macht der Zahlen, über die Entdeckung der Wahrscheinlichkeitsrechnung oder über irgendein anderes Thema aus der Mathematik.

Ein Blick auf die Demografie lehrt uns: Wir leben in einem Land, in dem die Waage mit den im Ruhestand befindlichen Personen auf der einen Schale und mit denjenigen im erwerbstätigen Alter auf der anderen Schale so zuungunsten der zweitgenannten ausschlägt wie nie zuvor. Dieses Missverhältnis ufert in den kommenden Jahrzehnten sogar noch aus. Umso wichtiger ist es, dass praktisch alle Pflichtschulabsolventen, die den Schulalltag hinter sich lassen, sich eifrig um eine gute Ausbildung bemühen.

Die erste gute Nachricht lautet: Die Lehrlingsausbildung ist in Österreich hervorragend. Regelmäßig wird bei den Euroskills-Meisterschaften bewiesen, dass ambitionierte Lehrlinge bei uns so geschult werden, dass man von ihnen Höchstleistungen erwarten kann.

Die zweite gute Nachricht lautet: Aller Digitalisierung und aller Entwicklungen in der Industrie 4.0 zum Trotz wird ständig Nachfrage nach handwerklichem Können bestehen bleiben. Und die dritte gute Nachricht las man gestern in der „Presse“: Der typische österreichische Jungunternehmer war im Vorjahr 37 Jahre alt, männlich und kein Digital-Guru à la Mark Zuckerberg, sondern eher Elektriker oder Installateur. Jeder zweite Neugründer hievte sich 2016 aus einem klassischen Lehrberuf selbst in den Chefsessel. Allerdings: Pflichtschulabschluss allein genügt nicht. Es muss ein guter Pflichtschulabschluss sein.

Ein guter Abschluss in dem Sinn, dass aus ihm hervorgeht: Die deutsche Sprache wird in Wort und Schrift beherrscht, Grundkenntnisse des Englischen sind vorhanden, man weiß sich zu benehmen, hat Kenntnisse über die Geschichte des Landes und – was mein Fach betrifft – versteht mit Zahlen umzugehen, hat ein geometrisches Verständnis, kann gut schätzen. Leider hört man sehr oft, dass just diese basalen Kenntnisse schmerzhaft fehlen. Dies ist nicht nur für den Betroffenen tragisch, sondern auch für die Gesellschaft, weil ihr ein weiteres Mitglied fehlt, das für sie hätte wertvoll sein können.

Die von Wiens Bürgermeister genannten Projekte mögen insbesondere die Lehrerinnen und Lehrer bestärken, möglichst alle Anlagen, die in den ihnen anvertrauten Jugendlichen stecken, zur Geltung zu bringen und ihnen alles Nötige zu vermitteln, was sie zur gelingenden Karriere brauchen.

E-Mails an:debatte@diepresse.comZum Autor:

Rudolf Taschner
ist Mathematiker

an der TU Wien und betreibt zusammen mit Kollegen das Projekt Math.space im Wiener
Museumsquartier.

Sein neuestes Buch: „Woran glauben. 10 Angebote für aufgeklärte Menschen“ (Brandstätter Verlag).

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.01.2017)

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