Multitasking

Auf dem Weg zum l'homme machine?

Napoleon Bonaparte wurde nachgesagt, dass ihm mühelos gelang, mehrere Tätigkeiten nebeneinander auszuführen: Er soll manchmal ein Dutzend Sekretäre um sich versammelt haben, um jedem von ihnen zur gleichen Zeit je einen Brief zu diktieren. Man stelle sich vor: Napoleon geht im Kreis an den zwölf Schreibtischen entlang, sagt zu jedem der Schreiber je einen Satz, und wenn er die zwölf durchmessen hat, weiß er, wie der Folgesatz des jeweiligen Briefes lauten wird, der nun vom Sekretär fein säuberlich kalligrafiert wird, während der Kaiser seinen Nachbarn die jeweils anderen passenden weiteren Sätze zu schreiben beauftragt.

Sicher ein Ausnahmetalent. Es dürfte den großen Feldherrn auch dazu befähigt haben, das in den Schlachten sich ereignende komplexe Geschehen in allen Details zu überblicken.

Multitasking nennt man heute diese Befähigung. Der Begriff kommt aus der Maschinenwelt. Denn Multitasking (zu Deutsch: Mehrprozessbetrieb) bezeichnet die Fähigkeit eines Betriebssystems, mehrere Aufgaben scheinbar parallel auszuführen. Eigentlich werden die verschiedenen Prozesse abwechselnd in Gang gesetzt und fortgeführt, aber die Abstände der einzelnen Aktivierungen sind so kurz, dass der Eindruck der Gleichzeitigkeit entsteht. Wir kennen dies von der Arbeit am Computer: Während man im Schreibprogramm mühsam die Buchstaben anschlägt, meldet die Maschine nebenbei, dass Dutzende neue E-Mails eingelangt sind, dass der Virendetektor eine erfolgreiche Abwehr durchgeführt hat. Und wir haben uns bereits so sehr daran gewöhnt, dass es fast gar nicht mehr auffällt, wenn in Nachrichtensendungen des Fernsehens zu den Berichten der Moderatorin über eine Katastrophe auf einem fremden Erdteil gleichzeitig am Bildschirm eine Banderole mit den Aktienkursen der heimischen Firmen abläuft.

Womit erreicht wird, dass man – nachher befragt, welche Information man mitbekommen hat – keine sichere Antwort mehr geben kann. Und daher wieder die nächste Nachrichtensendung einschalten muss. Ein Vorteil für den Sender, aber eine Sinnlosigkeit für den dem „Informations-Multitasking“ Ausgesetzten.

Fast niemand nämlich ist ein Multitasking-Genie wie es Napoleon war. Der Neurobiologe Martin Korte machte kürzlich in der „FAZ“ darauf aufmerksam, dass die Anforderungen an Multitasking, die auf uns einstürmen, unsere Denkleistungen eher behindern als fördern. Von Natur aus sind wir Nicht-Napoleone nämlich darauf angelegt, uns auf eine und nur eine Sache zu konzentrieren, ja dieses Sich-auf-das-eine-konzentrieren-können-und-dabei-alles-andere-vergessen-Können macht gerade die Stärke unseres Denkens aus.

Bis vor Kurzem waren Schulen stolz, wenn sie jedes Kind vor einen Computer setzen konnten. Sollten sie in Zukunft nicht stolz darauf sein, wenn sie – nicht nur, aber auch – computerfreie Räume anbieten?

Rudolf Taschner ist Mathematiker und Betreiber des math.space, im quartier21, MQ Wien.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.05.2010)

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