Weder die Mathematik wird anders noch der gute Mathematikunterricht

Am Fach Mathematik wird man wohl am besten erkennen, wie erfolgreich die Idee der zentralen Matura gestaltet wird. Schüler und Lehrer sollten die auf sie zukommenden Neuerungen gelassen annehmen.

Mathematik wird anders“, verkündete Lothar Bodingbauer in seinem Gastkommentar im Bildungsteil der „Presse“ am Montag. Wenn es nur um die Mathematik ginge, wäre das keine Schlagzeile wert. Wie jede andere Wissenschaft unterliegt die Mathematik Moden. Epochale Entdeckungen wandeln ihr Bild.

Hatte man noch vor hundert Jahren im Studium unzählige Beziehungen zwischen den vier jacobischen Thetafunktionen gepaukt, sind diese heute ad acta gelegt. Dafür gab es im 19.Jahrhundert Teilgebiete der Mathematik wie die Spieltheorie noch nicht – höchstens unscheinbare Keime dafür sind damals schon gelegt worden. Im Kern jedoch ist Mathematik immer die gleiche geblieben: Sie gründet auf der Faszination des in Richtung unendlich zielenden Zählens und auf dem Abenteuer, den Geheimnissen auf die Spur zu kommen, die sich hinter dem Zählprozess mit all seinen unüberschaubaren Verästelungen in die Geometrie, in die Analysis, in die Wahrscheinlichkeitstheorie und in die verschiedensten anderen Teilgebiete der Mathematik verbergen.

Aber all das spricht Bodingbauer nicht an. Ihm geht es nicht um die Mathematik, sondern um den Mathematikunterricht an den Schulen – und das sind zwei verschiedene Paar Schuhe. Die in zwei Jahren auf uns zukommende zentrale Matura, in deren schriftlichen Teil den Kandidaten Aufgaben gestellt werden, die nicht aus der Feder des Klassenlehrers stammen, sondern von einer anonymen Behörde kommen, werden in der Tat Änderungen im Unterricht bewirken. Bodingbauer sieht das im allzu rosigen Licht: Die Vernetzung von Grundkompetenzen (ein Wort, das man von sogenannten Bildungsexperten ad nauseam zu hören bekommt) „wird zunehmend von den Schülern selbst entwickelt“, Mathematik werde also „kreativer“. Und gleich danach behauptet er: „Die Mathematik wird mit dem Reden auch sozialer. Nicht mehr das fertige Beispiel ist das Ziel, sondern die Herausforderungen der Wege, die dorthin führen.“

Das ist purer Unsinn. Gerade bei einer von einer unpersönlich gestellten Instanz gestellten Aufgabe kommt es darauf an, eine korrekte Lösung fertig zu präsentieren. Niemand wird einem Kandidaten auf die Schulter klopfen, wenn er unter die Beispielangabe schreibt, er nehme die „Herausforderungen der Wege“, die zur Lösung führen, an. Pech für ihn, wenn er das Ziel nicht erreicht.

Es gilt vielmehr, die auf Schüler und Lehrer zukommenden Neuerungen gelassen anzunehmen: Es gab immer schon einen guten Mathematikunterricht, dieser wird sich durch die zentrale schriftliche Prüfung nicht ändern. Ich selbst werde am 27.2. in Baden, am 28.2. in Salzburg und am 5.3. in Klagenfurt vor Lehrkräften sprechen und ihnen anhand von Musteraufgaben zeigen, dass es keine Kunst ist, junge Leute auf ihre Mathematikprüfung vorzubereiten.

Sicher wird sich die Unterrichtsgestaltung den neuen Anforderungen anpassen. Vor allem wird aufgrund der zentralen Tests der Unterricht „ehrlicher“ werden. Das ist auch gut so. Schlecht wäre es, würde man wie Bodingbauer übertriebene Hoffnungen hegen, die sich nicht erfüllen lassen. Mathematik ist schön, aber für viele sperrig. Sie ist einfach nicht „sozial“: In ihr kann nur der Einzelne zur Einsicht gelangen. Und nur die ganz großen Talente sind in der Mathematik „kreativ“.


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Zum Autor:

Rudolf Taschner
ist Mathematiker und Betreiber des math.space im
quartier 21, Museumsquartier Wien.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.02.2012)

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