Kontrolle ist gut, Vertrauen ist besser: Eine Geschichte aus dem Waldviertel

Die Finanzmarktaufsicht fand „Meinl European Land“ ganz in Ordnung. Den Sparverein für Waldviertler Schuhe will sie zerschlagen. Besser kann man nicht illustrieren, was bei den Banken schiefläuft.

Heinrich Staudinger ist Unternehmer. Er führt einen jener Klein- und Mittelbetriebe, die Politiker so gern loben, wenn Kirtage eröffnet werden. Sein Betrieb steht in Schrems, im Waldviertel, über das normalerweise nur in Zusammenhang mit „Abwanderung“ oder „Strukturschwäche“ berichtet wird. Staudinger macht Schuhe. Er beschäftigt damit in Schrems 130 Angestellte.

Als Staudinger vor 13 Jahren investieren wollte und zu seiner Hausbank ging, schaute ihn der zuständige Bankberater an, blätterte in den Unterlagen und schüttelte den Kopf. Er verweigerte den Kredit. Kleinunternehmer, Selbstständige, Freiberufler wissen, wie sich das anfühlt. Wenn man ohne fixe Anstellung und Lohnzettel Dutzende Bestätigungen beibringen muss, um zu beweisen, dass man überhaupt existiert. Wenn man sich, trotz solider Betriebsbasis, Grund- und Immobilienbesitz und durchdachtem Unternehmenskonzept, beäugt fühlt wie ein windiger Trickbetrüger. Wenn es kein Vertrauen gibt.

Wie es ist, wenn es kein Vertrauen gibt, wissen Banken seit der Krise ebenfalls. Jeden Tag kommen Kunden und Kundinnen, sind lästig, fragen nach. Was denn genau geschehe mit dem Geld auf dem Sparbuch. Worin denn genau investiert werde, bei der privaten Pensionsvorsorge, die einem aufgedrängt wurde, als Karl-Heinz Grasser Finanzminister war. Was in diesem Fonds eigentlich drin sei, der einem als Besicherung für den Fremdwährungskredit empfohlen wurde, für den Wohnungskauf. Anleihen, aha, aus welchen Ländern denn? Aktien, von welchen Unternehmen denn genau, was stellen die her? Hedgefonds, will ich wirklich an Hedgefonds beteiligt sein? Wer entscheidet das eigentlich alles? Wissen diese Leute, was sie tun? Und wenn nicht, wie krieg ich sie zu fassen?

Wenn die Banken den Unternehmen nicht mehr vertrauen, und die Sparer den Banken nicht – dann liegt es nahe, dass sich Unternehmen und Sparer einfach direkt zusammentun. Genau das ist im Waldviertel passiert. Heinrich Staudinger bat seine eigenen Kunden um Kredit – und die rannten ihm mit ihrem Geld die Tür ein. Nicht wegen sagenhafter Zinsen. Sondern weil sie wissen wollen, was ihr Geld tut. Weil es sich gut anfühlt, das Produkt, das damit hergestellt wird, an den eigenen Füßen zu tragen. Weil sie das konkrete Unternehmen kennen und dem Geschäftsmodell vertrauen.

Die Finanzmarktaufsicht untersagte das jedoch. Sie wirft Staudinger einen Verstoß gegen das Bankengesetz vor – ein Delikt, das mit 50.000 Euro Strafe bedroht ist. Sie stellte dem Unternehmer ein Ultimatum, allen Privatanlegern ihr Geld zurückzuzahlen, obwohl die sich dagegen wehren. Seit der Konflikt eskaliert, drängen sie ihm mehr Geld auf, als er jemals investieren will.

Liebe Finanzmarktaufsicht, hier eine Selbstanzeige: Auch ich habe Geld in diesen illegalen Sparverein investiert. Es ist mein Geld. Ich verzichte hiermit ausdrücklich auf die Haftung der FMA für meine Einlage. Nächste Woche geh ich mir mit meinen Zinsgutscheinen Winterstiefel kaufen, am liebsten in Hellbraun. Ich bin mir bewusst, dass Heinrich Staudinger theoretisch ein windiger Trickbetrüger sein und mit meinem Geld in die Karibik abhauen könnte. Ich bin dieses Risiko sehenden Auges eingegangen. Doch im Gegensatz zu vielen anderen Risken, die Sie mir aufdrängen, trage ich es gern.


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Zur Autorin:

Sibylle Hamann
ist Journalistin

in Wien.
Ihre Website:

www.sibyllehamann.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.10.2012)

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