Helden sehen anders aus – aber Landesverräter ebenfalls

Wer erinnert sich noch an Bradley Manning, WikiLeaks und die geheimen Computerdateien aus dem Irak-Krieg? Manning ist nicht der einzige Verräter. Aber der einzige, der bestraft wird.

Er ist ein blasser, junger Mann. Einen Meter 57 groß, 24 Jahre alt, Brillenträger. Vor zweieinhalb Jahren hielt er die Welt in Atem: Da veröffentlichte WikiLeaks hunderttausende Dokumente, die Bradley Manning aus dem Netz des US-Militärs kopiert hatte. Logbücher über die Operationen im Irak und in Afghanistan, vertrauliche Diplomatenberichte.

Als Bradley aufflog, machten ihn die einen zum Helden, die anderen zum Terroristen. Als er vor wenigen Tagen erstmals öffentlich vor dem Militärgericht erschien, konnte man mit ihm nur Mitleid haben. Sein Leben lang war er ein gequälter, einsamer Mensch, fehl am Platz. Einmal wollte er etwas richtig machen. Seither gab es für ihn: Einzelhaft, Schlafentzug, permanente Beobachtung wegen Selbstmordgefahr, 20 Minuten Sonnenlicht am Tag, aber nur in Fesseln.

Eines der geleakten Videos datiert vom 12.Juli 2007. Es zeigt Bagdad aus der Perspektive eines amerikanischen Apache-Hubschraubers. Eine Gruppe Männer schlendert auf der Straße. Was einer von ihnen über die Schulter trägt, schaut aus wie ein Maschinengewehr. Der Schütze eröffnet aus dem Hubschrauber heraus das Feuer, man hört seinen Funkverkehr mit, sieht alles mit seinen Augen: Wie die ameisenkleinen Männer rennen, wie sie fallen, wie sie verletzt auf dem Boden kriechen, wie ein Auto anhält, um den Verletzten zu helfen.

Der Schütze feuert noch einmal, auf die Verletzten, die Helfer. Insgesamt tötet er elf Menschen, unter ihnen Namir Nur-Eldin und Samir Chmeg, Fotograf und Fahrer für die Nachrichtenagentur Reuters. Was Namir über die Schulter getragen hatte, war eine Kamera mit Zoomobjektiv.

Julian Assange schaffte mit diesen Depeschen damals den Durchbruch zum millionenfach verehrten Messias. Inzwischen hat er sich eingesponnen in Verschwörungstheorien, die alle um ihn selbst kreisen. Assange hat Transparenz versprochen, und dass aus Transparenz Freiheit entsteht. Für Manning passierte das Gegenteil. Doch dass er seine Informanten würde schützen können, hatte der Messias nie versprochen.

Barack Obama ist damals wie heute Präsident der USA. Das Gefangenenlager Guantánamo gibt es, entgegen seinen Versprechen, immer noch (wir halten bei 167 Insassen), die Haftbedingungen sind inzwischen besser als jene von Manning. Aus dem Irak hat sich das US-Militär inzwischen davongeschlichen, ohne Demokratie in Freiheit zu hinterlassen. Aber Obama persönlich kann ja nichts dafür.

Die Crew des Apache-Hubschraubers wurde für die elf Toten von Bagdad nie zur Verantwortung gezogen. Es war Krieg, da passieren Verwechslungen. Ähnliche Szenen sind in all den Jahren wohl hunderte passiert – mit dem einzigen Unterschied, dass es meistens keine Journalisten trifft.

Namir Nur-Eldin und Samir Chmeg bringt niemand zurück. In Afghanistan gibt es Leute wie sie noch immer viele: Einheimische, die als Übersetzer, Fahrer, Köche, Boten für Ausländer arbeiteten, ob für das Militär, für NGOs oder für Medien. Sie werden nach dem Abzug der Nato-Truppen schwer gefährdet sein. Ihnen drohen Rache und Vergeltung.

Bradley Manning wird ab März wegen Hochverrats der Prozess gemacht. Man kann ihm all den Verrat aufladen, der in dieser Geschichte steckt. Doch seine Schultern sind dafür ein bisschen schmal.


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Zur Autorin:

Sibylle Hamann
ist Journalistin
in Wien.

Ihre Website:

www.sibyllehamann.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.12.2012)

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