Nein, Prostitution ist eben kein Beruf wie jeder andere

Alice Schwarzer macht gegen das deutsche Prostitutionsgesetz mobil. Zu Recht. Weil es Zuhältern und Kunden nützt – nicht aber den Frauen in der Sexarbeit.

Die rot-grüne Bundesregierung hatte Großes vor, als sie einst in Deutschland an die Macht kam. Sie wollte neue Wege gehen. In vielen Bereichen, etwa beim neuen Staatsbürgerschaftsrecht, ist ihr das gelungen. Doch ihr Prostitutionsgesetz, eines der liberalsten der Welt, war ein tragisches Beispiel dafür, wie sehr man sich irren kann, wenn man es gut meint.

Das Ziel war hehr: Prostitution sollte aus der Schmuddelecke herausgeholt werden. Man wollte die Doppelmoral konservativer Bürger entlarven, die Prostituierte gern als „amoralisch“ und „unsittlich“ brandmarken – während sie klammheimlich gern ihre Dienste in Anspruch nehmen. Unter Rot-Grün sollte Schluss sein mit dieser Scheinheiligkeit: Prostitution sollte ein ganz normaler Beruf werden, wie jeder andere auch.

Prostituierte nannten sich hinfort Sexarbeiter und Sexarbeiterinnen. Die Förderung der Prostitution, einst Zuhälterei genannt und von Generalverdacht begleitet, wurde entkriminalisiert – damit wollte man netten Arbeitgebern ermöglichen, Kerzen, Kondome und ein freundliches Arbeitsambiente bereitzustellen, ohne sich strafbar zu machen.

Die Prostituierten sollten sich bei der Sozialversicherung anmelden, mit Dienstvertrag und Anspruch auf Arbeitslosengeld, selbstbewusst mit ihren Arbeitgebern um ihren Lohn verhandeln, allzu niedrige Einkünfte auf den Hartz-IV-Satz aufstocken, und sich redliche Pensionsansprüche erarbeiten. Stolz sollten sie auf dem Straßenstrich durchs Leben schreiten, Stigma und Scham abwerfen.

Denn warum sollten sexuelle Dienstleistungen etwas prinzipiell anders sein als physio- oder psychotherapeutische? Und warum sollte Expertise in diesem Feld weniger gelten als Expertise anderer Menschen in, sagen wir, Metallverarbeitung, Raumpflege oder Buchhaltung?

In der Theorie klang das gut. In der Praxis hat sich heute, elf Jahre später, herausgestellt: Es ist schiefgegangen. Auf allen Kanälen und in allen Blättern wird derzeit ein „Appell gegen Prostitution“ diskutiert, den Prominente von Sarah Wiener bis Senta Berger unterstützen. Die Publizistin Alice Schwarzer hat ihn initiiert. Und auch wenn man nicht alle Forderungen dieses Appells für sinnvoll hält, wird klar: Mit dieser Kampagne ist ein Nerv getroffen.

Denn das deutsche Gesetz hat vielen genützt – bloß den Prostituierten nicht. Es hat dem Land Großbordelle gebracht, die man auch Sexfabriken nennen kann, mit Flatrate-Tarifen und Gangbang-Specials, billig wie nie.

Es ermöglicht Zuhältern, Buslandungen immer neuer 18-jähriger Mädchen aus Rumänien und Bulgarien ins Land zu karren, um sie hier mit Busladungen voller Sextouristen aus ganz Europa zusammenzuspannen, unbehelligt von Polizei und Gewerbeinspektoren – die zwar die Sauberkeit jeder Currywurstbude kontrollieren, nicht aber die Bedingungen, unter denen Frauen ihre Körper vermieten.

Weil sie jetzt „richtige“ Arbeitgeber sind, müssen sich Zuhälter nicht mehr genieren und sich nicht mehr verstecken. Sie dürfen den Frauen nicht nur Kerzen und Kondome hinstellen, sondern ihnen auch „richtige“ Dienstanweisungen erteilen – wie das halt so ist, in einem ganz normalen Beruf.

Aber weil die Frauen die Sprache nicht verstehen, ihre Rechte nicht kennen, mit niemandem außer ihren Freiern in Kontakt kommen und ständig von einem Ort zum anderen verschoben werden, haben sie weiterhin Angst. Vier Männer und 40 Frauen in ganz Deutschland sind heute bei der Sozialversicherung als „Prostituierte“ gemeldet. Der Rest geniert und versteckt sich weiter.

Nein, es ist eben nicht „ganz normal“, den eigenen Körper zum Gebrauch an Fremde zu vermieten. Noch weniger „normal“ ist es, aus dieser Vermietung Profit zu schlagen. Es ist nicht chic, nicht cool, nicht spannend, sondern schlicht menschenunwürdig. Und je weniger wir uns dran gewöhnen, desto besser.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.11.2013)

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