Neulinge in der Politik: Wie authentisch darf's denn sein?

Die Öffentlichkeit verlangt viel von Politikern. Vielleicht verlangt sie so viel Widersprüchliches, dass sich keiner mehr traut.

Angenommen, Sie oder ich würde(n) den Entschluss fassen, in die Politik zu gehen. (Nein, so absurd ist dieser Gedanke nicht. Unser politisches System lebt davon, dass es auch für Menschen wie Sie oder mich offen ist.) Wir wollen nicht mehr nur reden, schreiben, schimpfen, posten, sondern auch ein bisschen mitgestalten. Eine Partei fragt sogar an, ob wir aktiv werden/eine Position übernehmen/kandidieren wollen. Sie oder ich sage(n) zu. Was passiert dann?

Zuerst steht auf dem Prüfstand, was wir bisher beruflich machen. Da gibt es kaum etwas, das als okay durchginge. Sie sind Unternehmerin? Das ist verdächtig, denn dann wollen Sie wahrscheinlich Ihr politisches Mandat in einen geldwerten Vorteil umwandeln. Sie sind Beamter? Noch verdächtiger – denn dann gehören Sie quasi zum System.

Sie haben bisher viel Geld verdient? Schlecht, denn dann sind Sie ein abgehobener Profiteur und haben wohl gar keinen Kontakt mehr zu Ihren Wählern. Noch schlechter ist bloß, wenn Sie bisher wenig verdienen. Dann kommen Sie bloß deswegen in die Politik, weil Sie anderswo keine Chance hätten.

Bevor Sie noch den Mund aufmachen, wird man Ihr Äußeres taxieren: Zu hässlich ist nicht gut, zu schön ebenso wenig, Durchschnitt jedoch ist fad. Nächste Frage: Kennt man Sie? Hoffentlich, denn sonst ernten Sie ein hämisches „Hä, wer soll das denn sein?“ Aber hoffentlich nicht allzu gut. Denn dann heißt es: „Nicht der schon wieder.“ Wie gut kennen Sie Ihre künftigen Kollegen? Zu viel Bussibussi ist suspekt, damit entlarvt man sich als verhabertes Freunderl.

Aber Achtung: Falls Sie in Ihrer neuen Umgebung jemanden falsch anreden, verwechseln oder sonst einen Fauxpas begehen, müssen Sie damit rechnen, dass das gnadenlos ausgeschlachtet wird. Ist ja auch echt lustig.

Überhaupt: Wissen Sie, wie Politik geht? Da wird es schwierig. Denn einerseits wollen wir ja, heißt es, Leute von außen, frischen Wind, frische Ideen, alles ganz neu. Amateure dürfen diese Neulinge jedoch nicht sein, sondern Profis, die das Handwerk gelernt haben, Plakate picken, Sektionsarbeit inklusive, und dabei die Gruppendynamik der Partei bis in die kleinste Verästelung hinein kennengelernt haben.

Aber Vorsicht – sobald Sie professionell genug sind, werden Sie zum Berufspolitiker, der außerhalb der Politik kein Leben hat und von der Partei auf Gedeih und Verderb abhängig ist. Auch nicht gut.

Reden wir also lieber über Inhalte. Wobei man auch einiges falsch machen kann. Zwar wird von Ihnen erwartet, originell zu sein, Ecken und Kanten zu zeigen. Aber wehe, Sie sagen wirklich etwas Originelles, Abweichendes, Unabgesprochenes – dann wird man entsetzt über Sie herfallen. „Himmel, hat der/die denn gar keine Ahnung, was unsere Linie ist?“

Zweite Möglichkeit: Sie machen alles genau so, wie man es von Ihnen erwartet. Sie machen keinen Fehler, nicht einmal einen winzigen, alles auf Linie, jedes Wort sitzt. Dann wird es heißen: „Himmel, was für ein Langeweiler! Blutleer, stromlinienförmig, für so viel Konsens hätten wir doch niemanden von außen gebraucht!“


Womit wir bei der vertracksten Sache mit der Authentizität wären. Das Publikum will ja, dass Politiker endlich die Masken ablegen und einfach so sind, wie sie sind. Echt. Dass sie reden, wie ihnen der Schnabel gewachsen ist, Gefühle, Leidenschaft zeigen.

Aber zeigen Sie dann tatsächlich einen Stinkefinger, schmollen, sind schnippisch, beleidigt oder böse – so schnell können Sie gar nicht schauen, wie Sie dann auf Twitter und Facebook hergewatscht werden, und Ihnen das Video mit der „authentischen Szene“, tausendfach vervielfältigt, um die Ohren fliegt. Das können Sie sich schließlich zu Herzen nehmen – dann sind Sie aber ein Weichei. Oder Sie lassen es an sich abprallen – dann sind Sie arrogant. Sie und ich sollte(n) uns das also vielleicht noch einmal überlegen, ob wir uns das mit der Politik wirklich antun wollen.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.01.2014)

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