"Wir sind stolz auf euch": Das hört ja eigentlich jeder gern

Deswegen hätte Österreich diesen Satz auch längst sagen können - zu seinen türkischen Einwanderern, von denen die ersten vor 50 Jahren zu uns kamen.

Gut, dass der türkische Premier Recep Tayyip Erdoğan wieder weg ist. Seine Versuche, die türkischstämmigen Auswanderer in ganz Europa für den eigenen Wahlkampf zu mobilisieren, sind überflüssig und ärgerlich.

Bei seinem Besuch in Wien fiel aber ein Satz, der in Erinnerung blieb: „Ich bin stolz auf euch.“ In Erinnerung bleibt auch das Bild der vielen dankbaren, gerührten Gesichter im Saal, als sie diesen Satz hörten. Und da stellt sich die Frage: Warum braucht es den türkischen Premier, um die türkischstämmigen Österreicher zu loben und ihre Leistungen öffentlich anzuerkennen? Warum hat das nicht längst Österreich getan?

An die erste Generation gerichtet, hätte das etwa so klingen können: Es ist großartig, was Sie alles geleistet haben, in den 50 Jahren, seit Österreich Sie einst gebeten hat, hierherzukommen. Obwohl es schwierig gewesen sein muss: den Entschluss zu fassen, von daheim wegzugehen; das Haus, die Nachbarschaft, die Gewohnheiten, die Verwandten zurückzulassen; anfangs vielleicht sogar die Ehefrau und die eigenen kleinen Kinder.

Es hat Mut gebraucht, sich auf die lange Reise zu machen, sich der Einsamkeit auszusetzen, sich in einer unbekannten Stadt zurechtzufinden, den Alltag zu bewältigen, in einer Umgebung, in der man nichts versteht, und kaum jemand sich um einen kümmert.

Wir sind stolz auf Sie – wie hart Sie dennoch gearbeitet, und wie viel Sie geleistet haben – in der Fabrik, auf dem Bau, in der Putzfirma, am Marktstand. Wie viel Sie beigetragen haben zum Wirtschaftswachstum und zu Österreichs Wohlstand. Wie Sie es trotz widriger Umstände geschafft haben, sich eine neue Existenz aufzubauen, Ihren Kindern ein Zuhause zu schaffen, ihnen eine Perspektive zu bieten, und sie bei alldem Ihr Heimweh nicht allzu sehr spüren zu lassen.

Auch an die zweite Generation, die Kinder der türkischen Zuwanderer, könnte Österreich eine Rede halten. Die klänge anders, etwa so: Es ist bemerkenswert, wie Sie das alles hingekriegt haben, denn Sie hatten es wirklich nicht leicht. Geboren in Österreich, hier aufgewachsen, aber doch selten als zugehörig wahrgenommen. Es muss manchmal mühsam gewesen sein, daheim. Die kleinen Wohnungen, die hart arbeitenden Eltern. Immer musste gespart werden, alles Geld wurde stets für die Türkei weggelegt, fürs Haus, für den Sommer, für später. Immer die vielen Verwandtenbesuche. Die stets gleichen Sommerurlaube, in Dörfern, die Ihnen fremd waren.

Es muss auch in der Schule anstrengend gewesen sein. Die eigene Muttersprache nichts wert, keine Lehrerin da, die einen für irgendetwas, das man von daheim wusste, gelobt hätte. Keine Möglichkeit, die eigene Sprache schreiben und lesen zu lernen, sich Kompetenzen zu erwerben, die anerkannt und später beruflich verwertbar wären. Wenn man etwas nicht verstand, war zu Hause niemand, den man fragen hätte können. Die Eltern konnten nicht helfen, hatten keine Beziehungen, kannten sich im Schulsystem noch weniger aus als Sie. Unglaublich, wie viel Verantwortung Sie schon als Kinder schultern mussten.

Sie mussten die Eltern zum Arzt begleiten, Briefe übersetzen, Amtswege erledigen. Während Sie an vielen Stellen wahrscheinlich mehr als einmal abgewiesen wurden. Aufgrund Ihres Namens, Ihres Aussehens traute man Ihnen nichts zu, lehnte Sie ab, für Jobs, Lehrstellen, Wohnungen. Und wollte Ihre Erfahrungen und kulturübergreifenden Kenntnisse nicht nutzen, obwohl Österreich sie dringend gebraucht hätte – bei Behörden, Gerichten und der Polizei, im Gesundheitswesen, in den Schulen, in der Forschung oder im Tourismus.

Es ist bemerkenswert, dass Sie trotz allem nicht verbittert oder böse wurden. Dass Sie gern Österreicher geworden sind. Dass Sie hier eine Perspektive sehen – und immer noch guter Dinge sind. Objektiv betrachtet ist das eine große Leistung, auf die Sie stolz sein können. Und ja: Vieles wäre leichter gewesen, hätten wir Ihnen das früher schon einmal gesagt.

E-Mails an:debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.06.2014)

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