„Ausländerklassen“ sind schrecklich oder super: Der Inhalt ist wichtig.

Wenn zwei etwas Ähnliches sagen, bedeutet es noch lange nicht dasselbe. Ein kleines Lehrstück über Form und Inhalt.

"Ausländerklassen“ also. Das Wort fällt derzeit oft, viele reklamierten es für sich. Der Expertenbeirat des Integrationsministeriums sprach sich für mehr Deutschförderung für Kinder mit anderen Muttersprachen aus. „Ausländerklassen – unsere alte Forderung!“, brüstet sich die FPÖ, samt jenem jungen Burschenschafter, der mit stramm rechten Parolen eben auf eine Karriere im Wiener Stadtschulrat hofft. „Ghettoklassen“, schaudert es hingegen die Linken, „Rassismus“ sei das, ein Kniefall vor den rechten Hetzern, die Unfrieden in unsere Schulen tragen wollen.

Die Verwirrung ist groß. Liegt in der Separierung etwa doch die Lösung für unsere Bildungsprobleme? Können die Experten wirklich dasselbe meinen wie die FPÖ? Die Antwort: Nein. Denn es macht einen großen Unterschied, wie man es meint, und wie man es macht. Welcher Geist dahintersteht, und mit welcher Haltung man an die Sache in der Praxis herangeht.

„Ausländerklassen“, wie die FPÖ sie meint, sind tatsächlich als Instrumente zur Ausgrenzung gemeint, zur Separierung nach ethnischen Kriterien, wahrscheinlich sogar zur gezielten Demütigung von Menschen mit ausländischen Wurzeln. „Ihr seid nicht gut genug für uns“ lautet ihre Botschaft. Ihr seid „die anderen“, schuld an den schlechten PISA-Ergebnissen, an unseren Leseschwächen, an den schlechten Noten „unserer Kinder“. In diesem Diskurs kommen Kinder mit anderen Muttersprachen ausschließlich als „Problem“ vor, als „Störfaktor“ mit einem „Defizit“, das angeblich alle anderen runterzieht. Wenn es bloß gelinge, sie von „unseren“ unkomplizierten, begabten, autochthon österreichischen Kindern fernzuhalten, in separaten Nischen zu parken, wo man ihnen so wenig wie möglich begegnet, werde alles gut.

Die FPÖ bedient damit ziemlich präzise die Interessen ihrer Wähler. Sie weiß, dass diese, samt ihren Kindern, in der rauen Arbeitswelt mit Migranten konkurrieren, die oft bildungshungrig, aufstiegswillig, intelligenter sind. Hätten alle tatsächlich dieselben Chancen und die bestmögliche Förderung in der Schule – die FPÖ-Klientel müsste Angst haben, manchmal den Kürzeren zu ziehen. Deswegen verspricht man ihnen: Wir schaffen euch die Konkurrenz vom Leib. Schieben sie in eigene Klassen ab, verhindern, dass sie dort viel lernen, halten sie vom Aufstieg ab, sorgen dafür, dass sie auf ewig „Ausländer“, Außenseiter, bleiben. Dann seid ihr den direkten Vergleich los.

Man kann das Reizwort „Ausländerklassen“ jedoch auch ganz anders verstehen, wenn man will. Als Orte, wo Kinder mit anderen Muttersprachen für kurze Zeit gezielt, intensiv und besonders qualifiziert begleitet werden, um so rasch wie möglich mit vollem Elan am Unterricht teilnehmen zu können. Sprachförderung muss Kinder nicht sozial separieren. Sie muss den Klassenverband nicht zerstören. Sie kann in einzelnen Stunden oder Halbtagen stattfinden, nachmittags, in den Ferien, zusätzlich zum Regelunterricht.

Sich individuell mit einem Kind und dessen spezieller Situation zu beschäftigen – etwa wenn es eben eine Flucht hinter sich hat – kann mehr bringen, als es einfach in die letzte Reihe einer Klasse zu setzen, und zu hoffen, dass es schon irgendwie mitkommen wird. Manche schaffen das heute tatsächlich. Andere nicht.

Es sind Welten, die diese Art Spezialförderung von den „Ausländerklassen“ der FPÖ trennen. Ziel ist nicht die Ausgrenzung, sondern das Hereinholen. Ziel ist, das Selbstbewusstsein von Kindern zu stärken, das Bewusstsein für die eigene Sprache zu schärfen, ihnen das Rüstzeug mitzugeben, um vom Unterricht voll zu profitieren, und so am Ende ihr ganzes Potenzial ausschöpfen zu können. Damit der Startvorteil, der in ihrer Mehrsprachigkeit eigentlich liegt, zur Geltung kommt.

Das braucht natürlich die allerbesten Lehrer und Lehrerinnen. Das braucht Respekt, das braucht Wertschätzung, und spezielle Qualifikationen. Hoffentlich hat das der Integrationsbeirat genau so gemeint.

E-Mails:debatte@diepresse.comZur Autorin:

Sibylle Hamann
ist Journalistin

in Wien.
Ihre Website:

www.sibyllehamann.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.07.2014)

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