Unsere Freunde und Helfer brauchen mehr Know-how

Die heimische Polizei schafft es einfach nicht, Situationen richtig einzuschätzen. Dies mag Absicht sein oder auch nicht – auf jeden Fall ist es gefährlich.


quergeschrieben

Was Wien am Montag vergangener Woche erlebte, war ein absurdes Schauspiel. Zu Hundertschaften waren Polizisten und Polizistinnen aus den Bundesländern nach Wien abkommandiert worden. In endlosen Kolonnen bezogen sie Stellung, Mannschaftswagen an Mannschaftswagen, bis weit in den Prater hinein. Stundenlang standen sie sich die Beine in den Bauch, mit Waffen, Schlagstöcken und Vollvisierhelm; sie lauschten den über ihnen dröhnenden Hubschraubern, aßen Bananen, tranken Red Bull, zwölf Stunden lang.

Doch es gab kein angemessenes Ziel. Keine Massendemonstrationen, keine Gewalttäter, keinen Aufruhr. Bloß staunende Bürger und Bürgerinnen, die es nicht fassen konnten, wie die Staatsgewalt einen ganzen Tag lang ihren Bezirk lahmlegte.

Nicht einmal das direkte Zielobjekt stand in irgendeinem Verhältnis zum Aufwand: 19 junge Menschen trug man am Ende aus der besetzten „Pizzeria Anarchia“, ein Grüppchen magere Burschen und Mädchen, mit verfilzten Haaren und Piercings, sie zeterten nicht, wehrten sich nicht. Bis zu diesem Tag hatten sie niemandem etwas zuleide getan, und sie hatten keinerlei Gefahr für die öffentliche Ordnung in der Leopoldstadt dargestellt.

So eine Fehleinschätzung kann im Prinzip jedem passieren, in jedem Beruf. Was allerdings zu denken geben sollte, ist, wie häufig der Polizei solche Fehleinschätzungen in letzter Zeit passieren. Erst verfolgte man mit ungeheurem Ressourceneinsatz die Tierschützer als „kriminelle Vereinigung“. Dann warf man sich gegen zwei Dutzend Flüchtlinge in der Votivkirche in die Schlacht. Dann schützte man die rechtsradikale Prominenz in der Hofburg, während der schwarze Block, beinahe unbegleitet, auf dem Stephansplatz randalierte. Schließlich versuchte man diesen Fehler zu kompensieren, indem man Josef S., einen schüchternen Studenten aus Jena, zum terroristischen Rädelsführer hochstilisierte.

Man bekommt den Eindruck: Die Polizei weiß nicht recht, was sie tut. Kann Freund und Feind nicht auseinanderhalten. Offenbar kennt sie sich nicht in den Szenen aus. Sie wittert Gefahren, aber kann sie nicht präzise benennen – und verteilt daher Punzierungen (Terroristen, Gewalttäter, Drogendealer) anhand von Äußerlichkeiten (schwarze Kleidung, bunte Haare, dunkle Haut). Sie verausgabt sich an den falschen Stellen und hat dort, wo man sie wirklich brauchen würde, keine Mittel mehr übrig. Warum bloß?

In der Polizei gibt es eine lange Tradition vertrauensbildender Arbeit. „Unser Freund und Helfer“, wie wir ihn aus den Schulbüchern kennen, bewegt sich mit offenem Visier und offenen Augen durch die Stadt. Er kennt den Ort, für den er zuständig ist, und er kennt die Eigenheiten seiner Bewohner. Er nimmt Veränderungen wahr, sucht aktiv den Kontakt, bevor etwas passiert; speziell auch zu Randgruppen.

Wissen ist Macht, Erfahrung erzeugt bessere Strategien. Wer sein Gegenüber kennt, muss seine Informationen nicht aus hetzerischen Krawallblättern beziehen, fällt seltener auf Provokationen herein und lässt sich weniger leicht von Äußerlichkeiten blenden.

Nicht jeder Schwarze ist ein Dealer. Nicht jeder Deutsche, der zu einer Demonstration anreist, ist ein Krawallbruder. Nicht jeder Mensch, der am Rand der Gesellschaft steht, ist gefährlich oder gewalttätig. Es gibt harmlose Spinner und friedliche Radikale.

Umgekehrt kann jemand, der Anzug und Krawatte trägt, sehr wohl die öffentliche Ordnung gefährden. Die Immobilienspekulation rund um die „Pizzeria Anarchia“ in der Leopoldstadt ist dafür ein gutes Beispiel. Denn wer ist tatsächlich die größere Gefahr für das friedliche Zusammenleben in der Stadt – jemand, der absichtlich Häuser verkommen lässt und Mieter vertreibt? Oder ein Punk, der sich die Haare färbt und Joints raucht?

Die Polizei muss besser werden, um das klar unterscheiden zu lernen. Und um uns vor den wirklichen Gefahren besser zu schützen.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

Zur Autorin:

Sibylle Hamann
ist Journalistin

in Wien.
Ihre Website:

www.sibyllehamann.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.08.2014)

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