Sommer in Sellamsi: Von Touristen, Gästen und Dienstboten

Zell am See, Lieblingsdestination arabischer Touristen, durchlebt ein Kerndilemma der Dienstleistungsgesellschaft. Wie nett muss man zu denen sein, die zahlen?

Auch in Zell am See hat es in diesem Sommer mehr geregnet als üblich. Allerdings war das in Zell am See weniger tragisch als anderswo. Denn viele der Sommerurlaubsgäste hier finden das super. Kommen sie doch aus einer Gegend, in der man Wolken, Nebel, Niesel- und Schnürlregen nur selten live erleben kann. Sie kommen aus der Wüste.

Zell am See hat es mit seinen 72.000 Gästen aus den Golfstaaten mittlerweile zu überregionaler Berühmtheit gebracht. „Sellamsi“ nennen die Araber ihren liebsten Urlaubsort, was nur zufällig klingt wie ein Zauberspruch aus Tausendundeiner Nacht. Die sommerliche Szenerie hat etwas Surreales: Wie die weiblichen Gäste, in bodenlanges schwarzes Tuch gehüllt, über die Strandpromenade schlendern, mit baumelnden Chanel-Täschchen und strassbesetzten Handyhüllen als einzigem Unterscheidungsmerkmal. Wie ihr Blick ratlos über die Flohmarkt- und Imbissstandeln beim örtlichen Kirtag schweift. Wie sie unbeholfen den Gesichtsschleier, Niqab genannt, lüpfen, um an ihr Eisstanitzel heranzukommen; und wie im Hintergrund dazu der Kapruner Gletscher aufragt.

Zum Zuschauen, für Durchreisende, ist das ganz amüsant. Als ökonomische Existenzgrundlage für die Einheimischen ist es schon schwieriger. Sie stoßen in ihrem Alltag schnell an die substanziellen Grundfragen der Dienstleistungsgesellschaft. Wie weit muss man sich den Bedürfnissen jener anpassen, an denen man verdienen will? Wie sehr macht man das Eigene zum Klischee, zur Kulisse? Wie viel Rücksichtnahme darf man umgekehrt von Kunden erwarten?

Diese Fragen kennt man in allen Tourismusregionen der Welt, an karibischen Stränden ebenso wie in nepalesischen Bergdörfern. Österreich kennt sie spätestens seit den Siebzigern, als sie in Felix Mitterers „Piefke-Saga“ im Fernsehen durchdekliniert wurden. Immer geht es um Geld, doch gleichzeitig um Stolz. Darum, ob man sich im Spiegel noch wiedererkennt. Wie abhängig man ist, und wie käuflich.

In Sellamsi erreicht dieses Dilemma eine neue Qualität. Der Wirt am See zum Beispiel schaut ganz gern dabei zu, wie seine arabischen Gäste ihre vielen schweren Rollkoffer unbeholfen über die Stiegen hinauf in den zweiten Stock schleppen. Er weiß, dass sie diese Art körperlicher Arbeit nicht kennen. Er weiß, dass sie Fünfsterneservice und klimatisierte Aufzüge gewöhnt sind, und dass ihnen daheim Dienstboten jeden Handgriff abnehmen. Aber Sellamsi ist eben nicht daheim, und es ist dem Wirt wichtig zu zeigen, dass er zwar Wirt, aber kein Dienstbote ist.

Es ist dem Wirt auch wichtig klarzumachen, dass mitgebrachte Dienstboten in Sellamsi nicht auf dem Boden schlafen. Dass sie, ebenso wie Frauen und Mädchen, als vollwertige Reisende zählen (und daher eigene Betten für sie gebucht werden müssen). Und als ein zwanzigjähriger Scheich Müll aus dem Fenster geworfen hat, weigert sich der Wirt, Geld entgegenzunehmen, und hält ihm stattdessen einen Müllsack hin – „weil bei uns jeder selbst seinen Mist aufklaubt.“ Wer wohl wen mehr verachtet hat in dem Moment, da die beiden Männer einander in die Augen schauten?


Man kann nur zart ahnen, was hier an Emotionen brodelt. Subtile Machtkämpfe zwischen Frühstücksbuffet und Grillabend, abgrundtiefes Nichtverstehen, gepaart mit dem Ringen um Respekt. Verkompliziert wird es dadurch, dass die Hierarchiefrage unentschieden ist: Wer schafft am Ende an – der Gastgeber, oder der, der zahlt? Sellamsi ist eine Art geschütztes Testgelände dafür geworden, ob man miteinander Beziehungen unterhalten kann, ohne fundamentale Werte miteinander zu teilen. Auf Schritt und Tritt klingt dabei selbstverständlich auch die große weltpolitische Konfrontation an, in der sich der Westen und die arabische Welt befinden.

Nein, das ist alles nicht einfach in Zell am See. Dennoch gut, dass es solche Orte gibt. Speziell im Regen.

E-Mails an:debatte@diepresse.comZur Autorin:

Sibylle Hamann
ist Journalistin

in Wien.
Ihre Website:

www.sibyllehamann.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.09.2014)

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