„Ein gutes Herz“ ist okay – Herz plus Kompetenz aber besser

Harald Mahrer hat recht: Die Akademisierung der Kindergartenpädagogik ist dringend notwendig. Weil der Kindergarten die wichtigste Bildungseinrichtung ist.

Alles beginnt am Anfang. Bildung auch. Mit Reizen, Tönen, Sprache, Anregungen. Von Anfang an macht es für ein Kind einen Unterschied, ob Geborgenheit herrscht oder Gleichgültigkeit, Vielfalt oder Monotonie, Wertschätzung oder Herabsetzung. Für das Bildungssystem bedeutet das: Was im Kindergarten geschieht, ist eigentlich das Wichtigste von allem. Hier werden die Weichen für Sprachentwicklung, Konzentrationsfähigkeit, soziale Kompetenzen gestellt. Hier kann viel an Talenten entdeckt – und vieles verschüttet werden.

So gesehen, hat Harald Mahrer, der neue Staatssekretär der ÖVP, völlig recht, wenn er (neulich im „Standard“-Interview) eine Hochschulausbildung für Kindergartenpädagogik fordert. Dass ausgerechnet dort, wo die Verantwortung am allergrößten ist, die am geringsten qualifizierten (und am schlechtesten bezahlten) Lehrkräfte am Werk sind, ist absurd, folgt jedoch der herrschenden Logik.

Das bisher vorherrschende Berufsbild der Kindergärtnerin hat Gemeindebundpräsident Helmut Mödlhammer einmal treffend formuliert: Es brauche „ein gutes Herz und ein gutes Händchen für Kinder“, aber keine „gekünstelte Akademisierung“. Zeichnen, basteln, schnurspringen, Flöte spielen – das macht Kinder froh und vertreibt die Zeit, bis die Eltern von der Arbeit kommen. Alles, was darüber hinausgeht – Entwicklungspsychologie, Lerntheorien, interkulturelle Kompetenzen, Mehrsprachigkeit –, ist in dieser Sichtweise unnötig. Womöglich sogar schädlich, weil es ja die „natürlichen“ Instinkte zerstört.

Hier schwingt ein uraltes Vorurteil mit, das generell unterstellt, zu viel Bildung tue Frauen nicht gut. Es raube ihnen die Weiblichkeit, die Liebesfähigkeit, mache sie zu gefühlskalten Wesen. Die Warnung klingt Frauen noch im Ohr, sie wurde über Generationen hinweg tradiert und ist vielerorts heute noch gang und gebe: „Hüte dich davor, allzu viel wissen zu wollen! Denn dann mag dich keiner/wirst du beziehungsunfähig/bleibst du allein!“

Dieses Gesellschaftsbild lastet schwer auf den Bakips (Bildungsanstalten für Kindergartenpädagogik), jenen fünfjährigen Schulen, in die sich (viele) Mädchen und (wenige) Burschen mit 14 Jahren einschreiben – also auf dem Höhepunkt ihrer pubertären Unsicherheiten. Historisch gesehen, ist die Bakip eine Institution für brave, nicht besonders ambitionierte Mädchen. Eltern schickten ihre Tochter dorthin, wenn sie nicht wollten, dass sie sich allzu weit von ihnen entfernten.

Dort sollte sie etwas lernen, um daheim besser mithelfen zu können. Und dann mit dem Kindergartenjob jene paar Jahre überbrücken, bis sie selbst Kinder bekommt und das Gelernte im eigenen Haushalt anwenden kann. Dass diese Erwartung mit der beruflichen Realität längst nicht mehr zusammenpasst, ist offensichtlich: Nur eine Minderheit der Bakip-Absolventinnen landet heute tatsächlich dauerhaft im Kindergarten.

Viele brennen rasch aus, nutzen die erstbeste Gelegenheit zum Absprung. Jene 40 Prozent hingegen, die es mit ihren pädagogischen Ambitionen ernst meinen, hängen an die Bakip-Matura ein Studium an – und gehen damit den Kindergärten dauerhaft verloren.

Währenddessen suchen die Kindergärten Personal und hoffen, es auf dem zweiten Bildungsweg und durch Umschulungen zu finden.

Alles beginnt am Anfang. Was Kindergärten daher brauchen, sind nicht 14-Jährige, die Kleinkinder süß finden, sondern gestandene Frauen und Männer mit Lebenserfahrung, vielfältigen Interessen, einem Blick für soziale und kulturelle Zusammenhänge, der Fähigkeit, Verantwortung zu übernehmen, und Mut.

Was wir ihnen im Gegenzug schuldig sind, sind Wertschätzung, ein ordentliches Gehalt, ausreichend Zeit, Raum und Erholung, kontinuierliche Supervision, Weiterbildung, die Möglichkeit zu Spezialisierung und Aufstieg – sowie eine schlagkräftige Interessenvertretung.

Eine Akademisierung des Berufsstands ist nicht der einzige Weg dorthin. Aber der naheliegendste.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

Zur Autorin:

Sibylle Hamann
ist Journalistin

in Wien.
Ihre Website:

www.sibyllehamann.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.09.2014)

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