Nein, nicht alle Reichen sind hart arbeitende Menschen...

...und nicht alle hart arbeitenden Menschen werden reich. Ein Bankdirektor wie Willibald Cernko müsste das eigentlich wissen. Eine Replik.

Lieber Herr Cernko, zunächst einmal herzliche Gratulation und aufrichtige Anerkennung! Wie Sie uns in der jüngsten Sonntag-„Presse“ mitteilen, haben Sie aus eigener Kraft eine tolle Karriere hingelegt. Ein Kind aus armer, kinderreicher Familie im obersteirischen Industriegebiet, der Vater früh verunglückt – und trotz der widrigen Umstände haben Sie sich zum Chef der Bank Austria hochgearbeitet. Das ist eine große Leistung.

Was ich weniger bewundernswert finde: wie leichtfertig Sie von sich auf andere schließen. Wie selbstverständlich Sie die Begriffe „Erfolg“, „Leistung“ und „Vermögen“ gleichsetzen und behaupten, „dass Reiche in der Regel hart arbeitende Menschen sind“. Und wie schnell Sie mit der Vermutung bei der Hand sind, alle, die sich für eine gerechtere Verteilung der Ressourcen einsetzen, seien von „Neid“ getrieben und hätten „mit Erfolg und Leistung generell ein Problem“. Wenn es bloß so einfach wäre!

Als Bankchef wissen Sie es doch genauer als wir alle: wo die großen Vermögen herkommen, die auf den Konten und in den Depots der Bank Austria liegen. Manche dieser Vermögen – da haben Sie recht – sind wohl tatsächlich das Ergebnis von Talent, Fleiß, harter Arbeit und Risikobereitschaft. Mindestens ebenso viele sind jedoch das Ergebnis von purem Glück. Dem Zufall der richtigen Herkunft. Dem Schicksal, das einem die richtigen Vorfahren beschert hat.

Sie werden es an den Girokonten Ihres Instituts sicherlich ablesen können: Wie viele Ihrer Kunden Monat für Monat hart arbeiten und am Ende dennoch horrende Überziehungszinsen zahlen, weil sich alles eben nicht ausgeht. Trotz aller Leistungsbereitschaft. Trotz aller Leistung. Weil sie ihre Leistung halt in der Krankenpflege bringen, im Altersheim, im Kindergarten, im wissenschaftlichen Prekariat. Weil sie als kleine Gewerbetreibende auf die Schnauze gefallen sind, weil sie Kinder allein großziehen, weil sie die Schulden eines Expartners abzahlen müssen. Weil sie einfach Pech hatten. Nein, Herr Cernko: Reichtum allein ist noch keine Leistung. Und umgekehrt: Leistung allein macht nicht reich. Es wäre schön und gerecht, könnte man am Wohlstand eines Menschen stets erkennen, wie hart er oder sie gearbeitet hat. Aber so ist es leider nicht.

Sie kennen doch wahrscheinlich die Studien, die belegen, wie schwierig es in Österreich geworden ist, aus eigener Kraft ein Vermögen zu erwirtschaften. Sie wissen doch, dass wir ein Steuersystem haben, das Arbeit bestraft und Besitz belohnt. Dass wir ein undurchlässiges Schulwesen haben, in dem die Bildungschancen stärker als in anderen Ländern vom Zufall der familiären Herkunft abhängen. Dass es für Kinder der Arbeiterklasse, wie Sie selbst eines waren, immer schwerer wird, ihrem Milieu durch Intelligenz, Fleiß und Bildung zu entkommen.

Ja, Herr Cernko – da hat sich seit den 1970er-Jahren, als Sie aufgewachsen sind, einiges in Österreich geändert. Es waren die Reformen der Kreisky-Zeit, die unterprivilegierten Menschen wie Ihnen damals neue Chancen eröffneten.

Für Ähnliches gäbe es auch heute großen Bedarf. Aber diesen sehen Sie nicht, Herr Cernko. Sie sagen, „dass einige mit aller Gewalt versuchen, hier Klassenkämpferisches am Leben zu halten, was keine Grundlage mehr hat“. Stattdessen „sollten wir uns alle ein Stück weit entspannen“.

Individuell verstehe ich das: Sie brauchen keinen Klassenkampf mehr. Für Sie ist er bereits gut ausgegangen. Sie können sich heute tatsächlich entspannen und „Respekt und Wertschätzung“ für die Vermögenden einmahnen.

Als Kundin der Bank Austria wünsche ich mir dasselbe jedoch für die Nichtvermögenden. Auch sie vertrauen Ihrer Bank ihr hart erarbeitetes Geld an, zahlen brav ihre Zinsen, Konto- und Servicegebühren – und zahlen Ihnen damit am Ende auch Ihr Managergehalt. Nein, wir sind es Ihnen nicht neidig. Für ein Mindestmaß an Respekt und Wertschätzung tun wir das gern.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

Zur Autorin:

Sibylle Hamann
ist Journalistin

in Wien.
Ihre Website:

www.sibyllehamann.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.04.2015)

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