Der Kontinent Westeros ist auch bloß ein Stück Erde

„Game of Thrones“ ist die erfolgreichste Fernsehserie aller Zeiten. Weil sie beim TV-Publikum einen Nerv trifft. Weil sie reale Politik und reale Ängste spiegelt.

Endlich ist sie da: „Game of Thrones“ („GoT“), die fünfte Staffel. Millionen Fans haben weltweit darauf gewartet. Für Uneingeweihte schaut das Ganze bloß wie ein opulentes Kitsch-Fantasy-Spektakel aus – Blut, Schweiß, Tränen plus ein paar Untote. Eine Mischung aus „Herr der Ringe“ der Siebzigerjahre (was Drachen und Zauberei betrifft) und „Dallas“ aus den Achtzigern (was Intrige, Geld und Sex betrifft). Doch ist „GoT“ eines der meistdiskutierten TV-Ereignisse der Gegenwart – was sich an der Zahl der illegalen Downloads ablesen lässt.

Auch die der Serie zugrunde liegenden Bücher („Das Lied von Eis und Feuer“) verkaufen sich millionenfach, ihr Schöpfer, George R. R. Martin, wird als Guru verehrt. Wie zappelnde Junkies warten seine Leser darauf, wie die Saga ausgeht. Doch das weiß er selbst noch nicht.

Offenbar trifft „Game of Thrones“ also einen Nerv. Da ist die Frage interessant: welchen? Trotz der Drachen und Untoten stellt man fest: Eskapismus wird hier nicht bedient. Eher ist „GoT“ eine optisch verkleidete, aber inhaltlich präzise Spiegelung der weltpolitischen Wirklichkeit. Um Politik geht es nämlich in „GoT“, um klassische Machtpolitik. Um konkurrierende Clans, die um Einflusszonen, Ressourcen und den Gehorsam ihrer Untertanen ringen. Das kennen wir.

Was auf dem Kontinent Westeros noch klarer wird als auf dem Planeten Erde: dass es kein objektivierbares Gut und Böse gibt. Man findet sich in einzelnen Charakteren wieder – doch mit deren Integrität geht das nie konform. Die sympathischsten Figuren sind meist die, denen man beim Betrügen zuschaut, und wer redlich handelt, dem wünscht man den baldigen Serientod.

Zweite Lektion, die Medienkonsumenten aus der realen Welt sogleich wiedererkennen: Gute Absichten können schreckliche Folgen nach sich ziehen, und umgekehrt. Vor allem Idealismus erweist sich als brandgefährlich. Man beobachtet Altruisten, wie sie moralisch handeln – und damit massenhaft andere ins Verderben reißen. Während man zynische Egoisten zu Rettern werden sieht. Sie handeln aus niedrigsten Motiven – Geldgier, Neid, Faulheit –, doch gerade deswegen tun sie das Richtige. Was könnte passender sein in einer Gegenwart, die von Terroristen in Bann gehalten wird? Von Überzeugungstätern, die sich beseelt fühlen von Rettungsfantasien und göttlichen Aufträgen?

Ein drittes Merkmal moderner Politik: Nicht alle Akteure, die auf demselben Spielfeld gegeneinander antreten, spielen dasselbe Spiel. Es sind unterschiedliche Interessen, die sie befeuern: Der eine wird von Eitelkeit angetrieben, ein anderer von Sadismus oder von Minderwertigkeitskomplexen. So kämpft jeder um eine andere Art Befriedigung – und feiert am Ende eine andere Art Sieg. Wie jedoch soll das Publikum da feststellen, wer gewonnen hat?

Viertens erkennt man: Welch wichtige Rolle der Zufall spielt. Unvorhersehbare Wendungen, die keiner inneren Logik folgen, sind ein Markenzeichen von „GoT“. Man wird getötet, weil man zufällig am falschen Ort ist. Weil jemand schlechte Laune hat. Weil ein Pferd lahmt.

Diese Willkür ist auch in der realen Welt schwer auszuhalten – was man daran sieht, wie bereitwillig Verschwörungstheorien geglaubt werden. Lieber glaubt man an einen hochkomplexen Plan und allmächtige Täter, die alle Fäden in Händen halten, als daran, dass Dinge ohne triftigen Grund passieren.

Schließlich gibt es, jenseits der Kriege, in „GoT“ noch eine Bedrohung, die größer ist als alle Beteiligten. Die liegt außerhalb, jenseits der Mauer, ein Reich der Kälte, mit untoten Monstern, die mit Schwertern nicht besiegbar sind. Es droht ein Winter, der ewig dauern wird. Niemand hat ein Rezept dagegen. Man kann die Bedrohung leugnen, den Kopf in den Sand stecken, aber sie geht nicht weg.

Es werden ein paar Millionen Menschen sein, die hier ihre Angst vor der ganz realen ökologischen Katastrophe wiedererkennen.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

Zur Autorin:

Sibylle Hamann
ist Journalistin

in Wien.
Ihre Website:

www.sibyllehamann.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.04.2015)

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