Donald Trump und die Fratze des Kapitalismus

Warum verehren weiße männliche Arbeiter in Amerika einen skrupellosen Multimillionär? Rational erklärbar ist das nicht. Irrational erklärbar schon.

Die amerikanische Spielart des Kapitalismus hat mehrere Gesichter: verführerischer die einen, hässlicher die anderen. Müsste man eine der hässlichsten Varianten zeichnen – es käme ungefähr Donald Trump heraus. Ichbesessen, eitel, maßlos, gierig; beleidigend, rücksichtslos, ignorant. Ein Mensch, der fest davon überzeugt ist, das Sonnengestirn zu sein, um das die ganze Welt kreist.

Ein Mensch auch, der die Marktwirtschaft bis zur Karikatur verzerrt: In seiner TV-Show „The Apprentice“ quälte er jahrelang Jobbewerber. Wehe, jemand wagte es da, einem Konkurrenten Anerkennung zu zollen oder einfach mal nett zu sein. „You're fired“, donnerte Trump dann. Weil man, seiner Philosophie nach, jede kleine Schwäche des Gegners zum eigenen Vorteil ausnützen muss. Fairplay sei nämlich nur für Versager.

Von so viel penetranter Arroganz kann man sich doch bloß angewidert abwenden. Das kann doch nicht einmal das siegerverliebte Amerika interessant finden, oder? Doch, es kann. Donald Trumps Wahlkampf hat ein Paradox zutage gefördert: Der Milliardär ohne soziales Gewissen ist bei der männlichen weißen Arbeiterschaft der beliebteste Kandidat.

Leicht zu verstehen ist das nicht. Das sind Menschen, die es im Leben nicht leicht haben. Die sich täglich abstrudeln, in der Fabrik, auf der Baustelle, in der Autowerkstatt, um ihre Rechnungen zu bezahlen. Menschen, denen die billige Weltmarktkonkurrenz im Nacken sitzt. Diese Menschen haben Angst, dass sie das College für ihre Kinder nicht zahlen können oder dass sie in ein paar Jahren ohne Krankenversicherung dastehen.

Sie spüren am eigenen Leib, dass das amerikanische Aufstiegsversprechen schon längst nicht mehr gilt: Vom Tellerwäscher zum Millionär bringt es hier niemand mehr. Die amerikanischen Eliten haben sich abgekapselt; sie vererben ihren Reichtum samt ihren Bildungsprivilegien und ihrem politischen Einfluss und lassen kaum noch Aufstiege aus ärmeren Schichten zu. Kurz gesagt: Amerikas Arbeiter könnten ein bisschen Mitgefühl ganz gut brauchen.

Was, um Himmels willen, erwarten sie sich da von einem wie Trump? Was ist es, das ihnen an ihm gefällt? Anders als seine Attitüde vermuten lässt, ist Trump gar kein Aufsteiger, sondern stammt aus reichem Haus; schon sein Vater machte mit Immobilien Millionen. Wie, meinen die armen Leute, würde dieser Kerl denn ihre Interessen vertreten, würde er tatsächlich Amerikas Präsident? Welche Gesetze würde er erlassen, die ihnen das Leben erleichterten?

Vermutlich sind das die falschen Fragen. Wahrscheinlich lässt sich die Faszination Donald Trumps eher auf einer anderen Ebene erklären – als Rachefantasie.

Trump führt genau jene Art Reichenleben, das man sich auch als Armer vorstellen kann. Was täte man denn, würde man über Nacht im Lotto gewinnen? Vermutlich genau das, was Trump tut: im Geld baden. Schnelle Autos und Flugzeuge kaufen. Die feschesten Mädchen ins Haus bestellen, Party machen bis zum Abwinken, Misswahlen abhalten („Miss Universe“ ) und Models heiraten (Trump hält derzeit bei Gattin Nummer drei). Häuser bauen, die höher als die anderen sind, und den eigenen Namen draufschreiben (Trump Tower). Man würde Casinos finanzieren, die Taj Mahal heißen, Golfplätze, Wrestlingturniere. Im Fernsehen auftreten und Bestseller schreiben („Gib niemals auf!“, „So wirst du reich!“).

Trumps Attitüde behauptet: Ich bin so wie ihr, in all unserer durchschnittlichen Rüpelhaftigkeit. Ich tue, was ihr ebenfalls gern tätet, wenn ihr es euch nur leisten könntet. Ich remple die Gebildeten an, trete den feingeistigen Besserwissern auf die Zehen und finde es lustig, wenn sie „Aua!“ schreien. Ich pfeife auf Höflichkeit, politische Korrektheit und Mitgefühl. Und seht her: Mir kann keiner etwas anhaben! Mein Geld immunisiert mich. Ich darf alles, und ich tue es, an eurer Stelle.

Wenn das keine Genugtuung ist.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

Zur Autorin:

Sibylle Hamann
ist Journalistin

in Wien.
Ihre Website:

www.sibyllehamann.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.08.2015)

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