Ein bisserl Shitstorm muss man schon aushalten

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„Spar“ kapituliert vor einer Hasskampagne und verkauft kein „Halal“-Fleisch mehr. Ein Fehler. Mit Feigheit gewinnt man nichts, weder am Markt noch in der Politik.

Es war eine berauschende Fantasie: Wie die sozialen Medien die Demokratisierung unseres Gemeinwesen vorantreiben würden. Endlich hätten die Menschen Instrumente in der Hand, um unmittelbaren Einfluss auf politische und wirtschaftliche Entscheidungen auszuüben. Endlich würden die Eliten – abgehoben, lebensfremd und korrupt wie sie angeblich sind – nicht mehr nach eigenem Gutdünken walten können. Endlich würden sie vom Wahl- und Konsumvolk Feedback bekommen, mehr noch: direkte Handlungsanleitungen. Die Arroganz der Mächtigen würde gebrochen und durch die Weisheit der Vielen ersetzt. Mitbestimmung auf jedem Kanal, in jeder Minute. Du kriegst was du willst, und zwar sofort, du musst es nur laut genug sagen, dann wird keiner wagen, sich zu verweigern.

Die Vision ist erst wenige Jahre alt, aber schon schauen wir in ihre hassverzerrte Fratze. Von jedem, der sich am Markt, in der Öffentlicheit, in der Politik bewegt, wird selbstverständlich verlangt, jeden Zuruf zu parieren wie ein dressierter Zirkusbär. Vorgetragen wird das Begehr mit forscher Geste: Die Mehrheit schafft an, gell? Wir sind die Wähler, die Konsumenten, die Leser! Wir bestimmen, was ihr zu tun habt, ihr seid bloß ausführende Organe, von unserem Geld bezahlte Handlanger! Der Kunde ist König! Das Wahlvolk regiert! Der Konsument bestimmt das Angebot!

Diese Haltung wird auch von Lesern und Leserinnen dieser Kolumne häufig formuliert: Wie eine Autorin es denn wagen könne, jede Woche wieder gegen die angebliche Mehrheit anzuschreiben! Völlig unbelehrbar, wie unerhört, ob man das denn nicht endlich unterbinden könne? Wörtlich: „Sie schreiben doch für uns! Da müssen Sie doch schreiben, was wir wollen!“ Nun, liebe Hassposter, Sie müssen jetzt sehr stark sein: Hier handelt es sich um ein Missverständnis.

Demokratie heißt weder, dass die Mehrheit immer Recht hat – noch, dass die lautesten Minderheiten tatsächlich die Mehrheit wären. Markt heißt weder, dass Konsumenten immer alles kriegen, was sie wollen – noch, dass man verhindern darf, dass andere kriegen, was sie brauchen. Und Öffentlichkeit heißt nicht, dass man ausschließlich zu hören bekommt, was man ohnehin schon denkt.

Eine demokratische Gesellschaft funktioniert etwas komplizierter. Sie hat eingebaut, was die Amerikaner „checks and balances“ nennen; Mechanismen, die der spontanen Mehrheitsentscheidung Grenzen setzen: rechtsstaatliche Prinzipien, garantierte Minderheitenrechte, völkerrechtliche Verpflichtungen. Gute Politik richtet sich zwar grundsätzlich nach dem Wählerwillen – aber sie richtet nicht jede Detailfrage nach Umfrageergebnissen aus, insbesondere nicht, wenn es um demagogieanfällige Themen geht. Und eine demokratische Öffentlichkeit braucht Widerspruch. Gescheiter wird man nur, indem man sich mit Tatsachen, Gedankengängen beschäftigt, die einem fremd sind.

Mag sein, dass das manchmal zwickt. Dass es sich frustrierend anfühlt, wenn die Wirklichkeit nicht ins vorgefertigte Schema passt, und sich dem Zuruf verweigert. Aber man kann lernen, das auszuhalten. Mehr noch: Wer von einer Sache redlich überzeugt ist, muss es sogar aushalten.

Vielleicht fällt das leichter, wenn man die wichtigste Shitstorm-Regel kapiert: Dass es dabei nichts zu gewinnen gibt – schon gar nicht, wenn man klein bei gibt. Jene „Presse“, die sich manche Hassposter herbeiwünschen, wird kein vernünftiger Mensch tatsächlich kaufen wollen. Jene Kunden, die damit drohen, aus ideologischen Gründen den „Spar“ zu boykottieren, werden ihre Schnitzel weiterhin dort kaufen, wo sie am billigsten sind (Tierschutz hin oder her). Und jene Wähler, die von Regierungspolitikern verlangen, ihnen nach dem Mund zu reden? Die werden sie ganz sicher nicht aus Dankbarkeit wählen, wenn sie dies tatsächlich tun.

Im Gegenteil. Sie werden sie verachten dafür. Gut so.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

Zur Autorin:

Sibylle Hamann
ist Journalistin

in Wien.
Ihre Website:

www.sibyllehamann.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.12.2015)

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