Nein, in einer Festung will ich lieber nicht leben

Die Innenministerin will das Land zur Festung machen. Nicht einmal im Mittelalter hat das funktioniert. Festungsmauern sperren nicht nur aus, sondern auch ein.

Die große Zeit der Festungen war das späte Mittelalter. Als die steinernen Kanonenkugeln erfunden wurden, reichten die alten Stadtmauern nicht mehr, um sich gegen anstürmende Feinde zu verteidigen. Da musste etwas Massiveres her, und mehrere Generationen Baumeister bemühten sich um die Perfektionierung des Festungsbaus.

Alles in einer Festung ist darauf ausgerichtet, die Umgebung lückenlos zu kontrollieren. Es darf keine toten Winkel geben, in denen jemand drüberklettern oder sich durchgraben könnte. Am ehesten eignen sich dafür Konstruktionen in Form symmetrischer Vielecke auf einem Hochplateau, sternartig, mit vorgelagerten Bastionen, vondenen man in alle Richtungen Feuerschutz geben kann. Ideal funktioniert das allerdings nur, wenn man gleich die ganze Stadt neu baut, sodass sie in den Grundriss passt. Wofür man sie vorher aber erst einmal abreißen muss.

Schon in der Frühen Neuzeit stellte sich also die Kosten-Nutzen-Frage – und schon damals fiel das Ergebnis durchwachsen aus. Festungen zu bauen ist nämlich teuer. Besonders tragisch der Fall der Republik Siena: Dort beschloss man 1553 die Bastionierung von 17 Städten gegen die spanischen Invasoren. Doch der Bau verschlang derart viel Geld, dass die Städte keine Mittel mehr für die Versorgung, Verpflegung und Ausrüstung ihrer Soldaten übrig hatten. Ein Jahr später war die Republik Siena vollständig erobert und unterworfen.

Zu bedenken ist: Die tollste Anlage hat nur Sinn, wenn sie permanent bemannt und bewaffnet ist. Kanonen müssen so untergebracht sein, dass sie von feindlichen Kanonen nicht getroffen werden können, am besten in überdachten Gewölbegängen, Kasematten genannt. Viel verwenden kann man sie dort allerdings nicht, weil sich in den engen Mauern der Pulverdampf sammelt und Sicht und Luft zum Atmen nimmt.

Ähnlich ambivalent ist das Schießschartendilemma. Selbstverständlich ist es sicherer, wenn die dicken Mauern nur enge Sehschlitze freilassen. Gleichzeitig behindert das aber auch. Der Blick in die Außenwelt ist künstlich verengt, wie durch Scheuklappen. Keine freie Rundumsicht auf die Umgebung. Dadurch kann einem Wichtiges entgehen.

Noch kritischer sind die Tore. Eine Festung ist nur eine richtige Festung, wenn sie nicht allzu viele Öffnungen hat. Dass keiner reindarf, ist klar, denn jeder Fremde könnte ein Feind sein. Es darf aber auch keiner raus – denn womöglich steckt man sich draußen mit fremdem Gedankengut an und kommt man als Feind wieder zurück? Tore also besser fest verriegeln, in beide Richtungen! Bleibt das Problem, dass nie auszuschließen ist, dass der Feind von Anfang an drinnen sein könnte – unerkannt in der Festung sitzt, als Schläfer quasi, miteingesperrt hinter dicken Festungsmauern, die nichts mehr nützen, wenn der Angriff von innen kommt.

Diese Gefahr kann man nur in Schach halten, indem man alle Festungsbewohner dazu anhält, einander permanent zu belauschen, zu beobachten und verdächtige Vorkommnisse sofort der Festungsleitung zu melden. „Sicherheitsbürger“ quasi.

Wie aber überleben Festungsbewohner ohne ein Draußen? Ohne Marktfahrer, ohne Handel? Was essen sie? Hier gibt es begrenzte Möglichkeiten. Entweder man wendet Gewalt an, unterwirft Landstriche und raubt. Oder man zwingt die Menschen draußen, ihre Produkte an den Toren abzuliefern und sofort wieder umzukehren. Oder aber man wird genügsam, und isst nur noch, was man innerhalb der Mauern selbst anbauen kann. Man muss sich halt beschränken, in einer Festung, körperlich wie geistig. Man wird einsam. Dümmer wird man wohl auch – ohne Austausch, ohne Veränderungen, ohne Begegnungen mit Fremden.

Sicherheit hat ihren Preis, sagen die Festungsbauer dann. Der einzige Trost für die Festungsbewohner: Da man keinen Vergleich hat, merkt man den Verlust dann gar nicht mehr.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

Zur Autorin:

Sibylle Hamannist Journalistin in Wien.

Ihre Website:www.sibyllehamann.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.03.2016)

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