Die Polizei soll mit den Bürgern reden, nicht mit Sicherheitsbürgern

Community Policing ist nichts anderes als Beziehungsarbeit. Je mehr die Polizei davon macht, desto besser. Die Hilfe von Vernaderern braucht sie dabei aber nicht.

Community Policing ist eine feine Sache. Ein englisches Wort hätte man dafür nicht eigens finden müssen, denn es bezeichnet nichts anderes als altmodische, ordentliche Polizeiarbeit, wie sie gute Polizisten in den demokratischeren Phasen der Geschichte immer schon praktiziert haben. Beim Community Policing verstecken sich Beamte nicht in ihren Wachstuben und warten drauf, dass sie ihr Blaulicht einschalten und losdüsen können. Nein, sie sind schon lang aktiv, bevor etwas passiert. Sie drehen ihre Runden, idealerweise nicht mit dem Auto, sondern langsam, zu Fuß, mit offenen Augen.

Sie wissen über das Grätzl, für das sie zuständig sind, Bescheid. Oft stammen sie aus einem ähnlichen Milieu wie die Leute dort. Sie beobachten, was sich verändert, kennen viele Leute, von den Geschäftsleuten über die Schulkinder bis hin zu den Obdachlosen. Sie reden mit ihnen. Was natürlich umso besser funktioniert, je besser sie deren Sprachen sprechen, deren kulturelle Codes beherrschen und je freundlicher sie sind.

Polizistinnen und Polizisten sind dieser Denkschule gemäß auch für jene Probleme da, die nicht mit polizeilichen Mitteln lösbar sind. Daher arbeiten sie eng mit Sozialämtern, Jugendzentren, Vereinen, Spitälern zusammen. Salopp gesagt: Die Polizei macht Beziehungsarbeit.

Bill Clinton verordnete seinem Land das Community Policing in den 1990er-Jahren. Wie dringend noch mehr davon notwendig wäre, zeigen die aktuellen Konflikte zwischen Polizei und amerikanischen Bürgern. Ernsthaft praktiziert, verbessert Community Policing sowohl das subjektive Sicherheitsempfinden als auch die Kriminalstatistik. Es hierzulande nachzuahmen ist also eine prima Idee. Nach einigen Pilotprojekten sollen im August acht Wiener Bezirke damit beginnen, sagt Vizepolizeidirektor Karl Mahrer.

Stutzig macht bloß, dass das Wort Community Policing stets in einem Atemzug mit einem anderen Wort genannt wird – dem „Sicherheitsbürger“. Wer soll das denn sein? Schlüsselpersonen mit besonders guter Vernetzung, lautet die Antwort. Die Trafikantin etwa, der Obmann des Schrebergartenvereins. Solchen Menschen will die Polizei privilegierten Zugang zu Informationen geben und im Gegenzug von ihnen Neuigkeiten erfahren. Die Leute sollen sich für dieses Ehrenamt freiwillig melden. Das Interesse sei sehr groß, sagt Mahrer.

Man schließe kurz die Augen, stelle sich die Nachbarn im eigenen Grätzl vor und überlege, wer davon sich wohl am schnellsten bei der Polizei melden wird – und sofort weiß man, wo das Problem liegt. Garantiert melden sich da nicht jene, die sich Tag für Tag zwischen Job, Kindergarten, Supermarkt und Ämtern abstrudeln und am genauesten wissen würden, wo im Wiener Alltag die Probleme lauern. Auch Menschen aus traditionell polizeifernen Milieus werden sich nicht vordrängen, obwohl ihre Expertise extrem wichtig wäre: die Jugendlichen, die im Einkaufszentrum herumhängen, der Trainer des tschetschenischen Fitnessstudios, die Altenbetreuerin, die täglich im Park ihre Runde dreht, der Rosenverkäufer, der nachts durch die Lokale streift.

Stattdessen werden wieder die notorischen Wichtigtuer aufzeigen, die Querulanten mit viel Tagesfreizeit, jene, die schon immer davon geträumt haben, sich von oben ein kleines bisschen Macht zu leihen. Und diese Macht die anderen spüren zu lassen.

Besser wird die Idee auch nicht durch den Vorschlag, Sicherheitsbürger gemeinsam mit den Bezirksvorstehern „auszuwählen“. Wer die feudalen Machtverhältnisse in so manchen Wiener Bezirken kennt, weiß auch gleich, warum.

Nein, liebe Polizei: Beziehungsarbeit kann man nicht delegieren. Die müssen Sie selbst machen – indem Sie aktiv Nachwuchs aus verschiedensten Schichten der Gesellschaft rekrutieren, mit Ausbildung, Fortbildung, Sprach- und Milieukenntnissen. Und reden, reden, reden – nicht mit Sicherheitsbürgern, sondern mit allen.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

Zur Autorin:

Sibylle Hamann
ist Journalistin

in Wien.
Ihre Website:

www.sibyllehamann.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.07.2016)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.