Wer ist „das Volk“? Nein, das sind nicht nur die Gehässigen

Vernunft und Empathie sind weiter verbreitet, als die Politik glaubt. Sie macht einen Fehler, wenn sie das „Krone“-Leserforum zum Maßstab ihres Handelns macht.

Ich muss mich bei meinen Lesern und Leserinnen entschuldigen. Normalerweise versuche ich, Post zu beantworten. Aber diese Woche war das leider nicht möglich. Die Kolumne, die vergangenen Mittwoch an dieser Stelle stand, erzählte von Volksschulkindern in Salzburg, die sich um die Integration eines syrischen Erstklässlers bemühen, und bei der Schulschlussfeier ein arabisches Lied sangen – was von der „Kronen Zeitung“ und der lokalen FPÖ zum Skandal aufgebauscht wurde. Es war eine kleine Geschichte. Wie in einem Brennglas zeigte sie, dass es starke Kräfte in Österreich gibt, die an einem gedeihlichen Miteinander gar nicht interessiert sind. Die Probleme schüren, selbst dort, wo es gar keine gibt, und die sich daran freuen, das ehrliche Bemühen anderer kaputt zu machen.

Das Ausmaß der positiven Reaktionen war überwältigend. Fast 30.000-mal wurde die Geschichte allein auf Facebook geteilt. Offenbar gibt es sehr viele Menschen, die dieses destruktive Spiel mittlerweile durchschauen, und es gründlich satt haben. Menschen mit gesundem Menschenverstand, die wissen, dass man mit ein bisschen Empathie und Gelassenheit meist mehr weiterbringt als mit Schaum vor dem Mund. Warum aber sind diese konstruktiven Stimmen kaum je zu hören?

Es ist für Politiker und Politikerinnen wahrscheinlich nicht so leicht, herauszufinden, was „das Volk“ denkt und von ihnen erwartet. Umfragen mit ihren oft seltsamen Fragestellungen sind schwer zu interpretieren. Auf Leitartikler (und Kolumnistinnen) zu hören, kann in die Irre führen. Im persönlichen Umfeld kriegt man wohl wenig Widerspruch zu hören, während sich auf Veranstaltungen meist nur die Lautesten melden. Bleiben als Seismografen die Online-Foren und sozialen Medien. Dort sprechen die Leute aus, was sie denken, sollte man meinen – dort kriegt man mit, wie die Mehrheit des Volkes tickt.

Wer in diese Welt hineinschaut, erschaudert allerdings oft. So viel Gehässigkeit, so viel Zynismus, so viel Lust an der Katastrophe! Die Handlungsanweisung, die viele Politiker hieraus ableiten, lautet: Du musst dich von der Stimmung anstecken lassen. Musst ebenfalls zynisch und gehässig werden – nur dann hast du eine Chance auf einen Wahlsieg. Oder wenigstens auf kurzen Applaus.

Aber was, wenn das ein großer Irrtum ist? Wenn die, die man man hier zu Ohren kriegt, gar nicht „Österreich“ sind – sondern bloß eine laute, raumgreifende Minderheit, die alle anderen an den Rand gedrängt hat?

Es gibt gute Gründe für diese Annahme. Um beim Beispiel des „Krone“-Leserforums zu bleiben, wo die Schärfe der Attacken besonders auffällig ist: Richard Schmitt, Chefredakteur von krone.at, erklärte vor einigen Wochen in großer Offenheit, wie dieser Tonfall zustande kommt. Die „Krone“ lege es demnach gezielt drauf an, dass ihre Artikel vom FPÖ-Chef weiterverbreitet werden: „Wenn Strache einen normalen Bericht von uns auf Facebook teilt, dann merken wir, das haut die Quote auf das 1,5-Fache hoch. Und umgekehrt kriegt er natürlich auch mehr Traffic, wenn wir ihn pushen. So ein Doppelspiel ist natürlich für die anderen Parteien gefährlich“, sagte Schmitt in einem Interview mit dem Magazin „Fleisch“.

Soll heißen: „Krone“ und FPÖ haben sich, zum gegenseitigen Vorteil, in einer Echokammer eingerichtet, wo man einander so lang gegenseitig verstärkt, bis das Dröhnen alles andere übertönt. Die Regierungsparteien glauben, hier die Stimme des Volkes zu vernehmen, und richten ihre Politik danach aus. Gleichzeitig wird die öffentliche Stimmung massiv beschädigt – während das ganze Dröhnen auch noch mit Millioneninseraten der öffentlichen Hand mitfinanziert wird.

Ich glaube mittlerweile: Das ist gar nicht die „Stimme des Volkes“. Zumindest ist es nicht die einzige. Und die Politik täte gut daran, zur Abwechslung manchmal auch den anderen zuzuhören.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

Zur Autorin:

Sibylle Hamann
ist Journalistin

in Wien.
Ihre Website:

www.sibyllehamann.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.08.2016)

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